StadtLandPlus – Der Blog der Saarbrücker Linksfraktion

 

Schön, dass Sie uns gefunden haben!

Der vorliegende Blog entstand als Weiterführung der zweiwöchentlich erscheinenden Kolumne im städtischen Mitteilungsblatt. Aufgrund des begrenzten Platzangebotes und der langen Veröffentlichungsintervalle entschieden wir uns, ein entsprechendes Format auf unserer Homepage einzurichten, das kommunale, regionale und überregionale Themen abdeckt in der Hoffnung, am einen oder anderen Gesprächsthema rühren zu können (was allerdings nicht bedeutet, sich immer bierernst nehmen zu müssen).

 

Viel Spaß bei der Lektüre!

Aus faulender Demokratie: Eine (selbst-)kritische Reflexion zum Erfolg der AfD

(Teil 6: Sentimentale Märtyrer)

Verehrte Leser, seit wir diese Rubrik im Sommer letzten Jahres eröffneten, haben sich jegliche Hoffnungen, dieses doch nur bedingt lustige Projekt in absehbarer Zeit einstellen zu können, leider völlig zerstreut. Die jüngste Nazisau, die durchs Dorf getrieben wird, ist trotz des widerlichen Aromas in aller Munde, und diesmal wäre es vielleicht klüger gewesen, das Biest einfach geräuschlos über den Hügel verschwinden zu lassen. Ein Treffen einer Handvoll von ihren Umfragewerten besoffenen Größenwahnsinnigen wird von Politik und Presse zu einem Bilderberger - Treffen der Reichskristallgläser hochgejazzt – zu einem Zeitpunkt, wo er den Nazis nicht besser in den Kram passen könnte. Unser nicht minder durchgedrehter Ex-Verfassungsschütze Maaßen hämmert die Brücke zwischen Union und AfD über den schwarzbraunen Sumpf; die Nägel werden ihm dabei gereicht von Markus Krall, einem Unternehmensberater mit dem einnehmend-seriösen Charme eines kolumbianischen Apothekers, der übrigens unserer Majestät vor eigenen Gnaden Heinrich Prinz Reuß kurz vor dessen Festnahme selbstverfasste Gedichte geschickt hat. Niedlich. Hoffentlich lässt sich Friedrich „Die Brandmauer“ Merz nicht von der allgemeinen Gefühlsduselei einwickeln und sinniert darüber, wie schön das in der deutschen Geschichte immer war, wenn eine Mauer fiel.

Währenddessen macht der Verfassungsgerichtshof ohne Not einen Märtyrer aus der NPD, indem sie ihr den Geldhahn der staatlichen Parteienfinanzierung zudreht, der ohnehin schon seit Jahren versiegt ist. Die drei sentimentalen Ronnys, die die „Heimat“ noch um der alten Zeiten willen wählen, reichen nicht einmal für Parteien-Hartz-IV. Und es hätte auch in Zukunft kein Aas mehr von ihnen Notiz genommen, hätten nicht 2019 Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung ihr gesammeltes Hirnschmalz in einen Fingerhut geschmissen und die Klage beim Verfassungsgericht eingereicht, der NPD die nicht vorhandenen Gelder zu streichen.

Währenddessen hat die SPD auf der verzweifelten Suche nach Wählerstimmen rekordverdächtige Tiefen des Anti-Asyl-Populismus erreicht. Vorturnerin der Soziopath-Demokraten ist hier Nancy Faeser, die im Zuge ihres Kampfes gegen die „Clankriminalität“ die Abschiebung von Menschen verlangt, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen außer einer missratenen Verwandtschaft. Kleine Faustregel, Nancy: Wenn sogar Maaßen anmerkt, dass du zu weit gehst, dann hast du dich wirklich verrannt. Und während die ehemaligen Parteien der Mitte sich im Bemühen, die Rechtsaußen irgendwie rechts zu überholen, ihren letzten Rest Humanität und Glaubwürdigkeit (mit der Würde ist es ohnehin längst vorbei) als unnützen Ballast von sich werfen, denkt der geneigte AfD-Wähler: „Cool! Wenn ich AfD wähle, passiert endlich was!“

Ziemlich entnervt sind inzwischen die Bauern, die wegen eines simplen agrarpolitischen Protests offenbar sofort für rechtsradikale Hinterwäldler gehalten werden, wenn sie nicht vorsorglich den Wagen vom letzten Christopher-Street-Day an den Traktor klemmen. Über die Subventionen kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber könnten wir dann bitte inhaltlich darüber reden anstatt schon wieder nur über die verdammte AfD? Donnerwetter, sie haben wirklich die Kunst perfektioniert, das einzige Gesprächsthema auf jeder Party zu sein, auf die sie niemand eingeladen hat.

Mitten in diese nicht wenig aufgeheizte Stimmung also die Skandalmeldung vom Treffen der Selbsthilfegruppe für Möchtegern - Deportationslogistiker. Es war nämlich keine Wannseekonferenz 2.0., Schlaumeier. Schreibt diese Schwachköpfe nicht auch noch zu den Staatsmännern hoch, die sie nur in ihren überstiegenen Fantasiegebilden sind! Verehrte Presselandschaft: Ob diese Irren als Macher und Strategen wahrgenommen werden oder als die Vollpfosten, die sie in Wahrheit sind, hängt nicht zuletzt von euch ab. Leider macht ihr in dieser Frage momentan alles, alles falsch.

Inhaltlich war an diesem Treffen rein gar nichts überraschend. Die AfD hält mit ihren Herrenmenschen-Fantasien schon lange nicht mehr hinterm Berg, die Identitären noch weniger. Auch ihre Strategien sind jemandem, der sich damit beschäftigt, nicht neu. Manipulation über Social Media, die Relativierung von Fakten, Glaubwürdigkeit untergraben etc. etc. Lernen Sie in jedem Sozialpsychologieseminar. Was uns ernsthaft interessiert hätte ist die Frage, wo die Faschos eigentlich die Exklave in Nordafrika hernehmen wollen, um dorthin abzuschieben. Gründen sie zusammen mit Meloni ein neues Afrikakorps?

Die Realität ist noch viel trauriger. Wem die erste Hälfte des Textes noch nicht deutlich genug gezeigt, wie weit die Stimmung in diesem Land mittlerweile nach rechts gedriftet ist, der sollte sich klarmachen, dass wir eine ganze Reihe von Schweinereien der „demokratischen“ Parteien geflissentlich ignorieren, weil alles nur noch auf die AfD glotzt wie das Reh in den Suchscheinwerfer. Söder bekämpft die öffentlich-rechtlichen Sender (außerhalb Bayerns, versteht sich) schon länger mit Feuereifer und FRONTEX lässt im Mittelmeer Flüchtlinge über Bord gehen, dass Höckes Höschen fast genauso nass wird. Der Aktionsradius der Bundeswehr kann sich mit dem der Wehrmacht zu Spitzenzeiten locker messen und wir können getrost davon ausgehen, dass ein Bundeskanzler Merz auch mit dem albernen Bürgergeld-Gekuschel Schluss macht und die Zwangsarbeit wieder einführt. Sie wird nur anders heißen.

Und während Rechte jeder Couleur Pläne schmieden, das Land zu untergraben sitzt im Fernsehen eine Flasche wie Lanz und schnauzt Sahra Wagenknecht an, weil sie sich mit Volker Pispers zum Essen getroffen hat. Und? Ach ja, die Verabredung wurde von Pispers´ rechtsradikalen Zahnarzt arrangiert. Wie konnte der Mann bloß versäumen, seinen Zahnarzt nach seiner Weltanschauung zu befragen?

Und als wäre das Schauspiel nicht schon abstrus genug, werden natürlich noch zwei dicke Clowns auf die Bühne geschoben. Erstens ein AfD-Verbotsverfahren. Nach zwei peinlichen Versuchen, die NPD zu verbieten, sieht man von hier aus, wie das ausgeht. Noch verzweifelter wirkt allerdings der Vorschlag, Höckes´ Grundrechte einzuschränken, damit er nicht als Ministerpräsident kandidieren kann. Dummerweise ist das Land ein Stückchen größer als Thüringen. Die Bundesrepublik hat auch kein W-LAN-freies Ghetto in Afrika, in das sie ihn abschieben könnte, ergo würde sein rechtsradikales Gekläffe über die üblichen Kanäle weiterhin den Weg zu den üblichen Adressaten finden. Aber dann wäre es das Gekläffe eines Märtyrers. So wäre er für die AfD noch nützlicher.

Knecht Datenrecht

„Every breath you take/ Every move you make/ Every bond you break/ Every step you take/ I´ll be watching you“ Im Grunde erstaunlich, dass der Sting – Klassiker von 1983 es nie auf eine der Sammelplatten mit den bekanntesten Weihnachtsliedern geschafft hat. Wem käme bei dem bedrückenden Text nicht unweigerlich der allwissende Nikolaus mit seinem dicken Buch in den Sinn, in dem die guten und bösen Taten der Kinder aufgelistet sind. Schon raus aus dem Alter? Verständlich, wer braucht noch einen Nikolaus, wenn es an allen Ecken nur so von Knecht Ruprechten wimmelt, die ihrem fiktiven Vorgesetzten an Neugierde in nichts nachstehen und im Gegensatz zu ihm höchst real sind.

Die von ihnen bevorzugte Überwachungsrute ist inzwischen allgegenwärtig und fest im alltäglichen Leben verankert. Möglicherweise blicken Sie gerade darauf; falls nicht, werden Sie vermutlich in ihrer Jackentasche fündig. Denn auch und gerade für Menschen, die sich bemühen mit ihren Daten sparsam umzugehen und nicht jedes Detail über ihre Gewohnheiten und Bewegungen in fremden Händen sehen wollen, wird der Handlungsspielraum kleiner und kleiner. Das stellten wir hier erst kürzlich bei einer an sich verblüffend banalen Angelegenheit fest: Der Anmeldung zum Neujahrsempfang seiner durchlauchtesten Bürgermeisterlichkeit. Das Einladungsschreiben teilt hierzu mit: Bitte melden Sie sich dafür mittels nebenstehendem QR-Code online unter www.***.de an. (…) Nach erfolgter Online-Anmeldung erhalten Sie eine Bestätigung per E-Mail mit Ihrem persönlichen QR-Code. Zitat Ende. Es sind also plötzlich zwei QR-Codes erforderlich für eine Formalität, für die vor nicht allzu langer Zeit ein Anruf genügte?

Leider ein Zeichen unserer Zeit; gerade die teilweise doch recht obskuren Pandemie-Sitten wirkten wie ein Raketenantrieb auf die Digitalisierung aller Lebensbereiche. Schon vorher hatte man bisweilen den Eindruck, es mit einer Art Techno-Sekte zu tun zu haben, vor allem bei Apple. Mit Steve Jobs hatte man einen verblichenen Heiland vorzuweisen, fanatische Anhänger, ein nebulöses Heilsversprechen einer besseren und angenehmeren Welt und sogar eine Art geheimnisvollen Äther, der die Kommunikation mit höheren Mächten ermöglichen sollte, die sogenannte Cloud. Cloud? Es gibt keine „Cloud“. Es gibt nur Computer, die anderen Leuten gehören, in diesem Falle Apples 44.000 m² großes Rechenzentrum in den USA.

Regierung und Großkapital im digitalen Blutrausch sind solche häretischen Gedanken natürlich fremd. Untermalt von erstaunlich leiser medialer Begleitmusik hat Gesundheitsminister Lauterbach kürzlich die elektronische Patientenakte auf die Schiene gesetzt, und ebenjene, die vor zwei Jahren noch Zeter und Mordio schrien, dass das Reptiloidenschwein allen per Impfung GPS-Tracker unterjubeln wollte, halten mucksmäuschenstill, wenn ihre gesamte Krankengeschichte ins Fadenkreuz von Hackern und Pharmaindustrie geschoben wird. Welch eine Ironie: Die gesamte Pandemie hindurch wurden von früh bis spät die ortungs- und abhörfähigen digitalen Endgeräte mit Räuberpistolen über Außerirdische und Gedankenkontrollstrahlen vollgedonnert. (Was ist eigentlich aus dem Elektrosmog geworden?)

Inzwischen ist der Digitalzwang so weit ins Alltagsleben vorgedrungen, dass man ohne Smartphone kaum noch ein Paket aus der Abholstation bekommt. Heribert Prantl, der langjährige Innenressortchef der Süddeutschen Zeitung, schrieb hierzu völlig korrekt: „Das Handy ist ein Grundrechtszugangsgerät geworden.“ Was die Frage aufwirft, ob es wirklich eine gute Idee ist, unsere Grundrechte mitsamt der Restfunktionalität unseres Alltagslebens in die Hand milliardenschwerer Software-Tycoons legen, die ihre eigene Brut vermutlich nicht grundlos auf Privatschulen schicken, in denen der Unterricht nach wie vor rein analog abläuft.

Und auch falls Sie Gates, Zuckerberg und Co. Aus welchen Gründen auch immer trauen sollten, hilft vielleicht ein pragmatischerer Denkansatz, Stichwort Außenpolitik. Lassen Sie sich das größenwahnsinnige Gefasel unseres Völkerrechtstrüffelschweins Baerbock mal auf der Zunge zergehen, Deutschland würde einen Angriff Chinas auf Taiwan „nicht hinnehmen.“ Lenchen, Peking interessiert sich einen Dreck für deine Einschüchterungskunststücke. 95% des Welthandels mit Seltenen Erden befindet sich in chinesischer Hand. Sobald China sich genötigt fühlt, dem Westen den Nachschub abzudrehen, können wir dem Zusammenbruch dieses Landes im Rekordtempo zusehen. Ob Notrufzentralen oder Krankenhäuser, ob Lebensmittel- oder Medikamentenvertrieb, ob Panzer oder Kampfjets: in der BRD würde schlichtweg überhaupt nichts mehr funktionieren. Autarkie ist eine Illusion, Hören Sie auf, sich diesen Quatsch auftischen zu lassen.

Große Probleme im Kleinen...

(Teil 2)

Ach, seien wir doch mal ehrlich: Den Glauben an alles Große haben wir in der westlichen Hemisphäre doch längst hinter uns gelassen. Wenn bei uns noch ein Gott den Ton angibt, ist es Mammon der Allmächtige. Bilanzen sind die Sakramente, Schulden sind Sünde. Und beseelt von dieser Überzeugung führt uns die Ampel immer tiefer in einen Kreuzzug wider den gesunden Menschenverstand, der inzwischen so ziemlich jedem Sorgen macht, der seinen Lebensunterhalt nicht entweder in der Ampelkoalition oder bei der Springerpresse verdient. Trotz eines titanischen Investitionsstaus im Verkehrs-, Gesundheits- und Umweltsektor beharrt Lindner auf seiner schwarzen Null wie ein Fünfjähriger, der unbedingt bei Minustemperaturen mit kurzen Hosen spielen gehen will.

Jemand, der sich mit aussichtslosen Schlachten bestens auskennt, hat sich übrigens am Donnerstag zu Wort gemeldet: Peer Steinbrück, der vor ziemlich genau zehn Jahren auszog, um von Mutti das Fürchten zu lernen. Zitiert wurde er mit der Aussage, die Schuldenbremse müsse mehr „öffentliche Investitionen“ aber keine „konsumptiven Ausgaben“ zulassen. Auf Deutsch: Jemand muss die Sozialschmarotzer von den Fleischtöpfen fernhalten. Außerdem stimmt er uns schon mal ein: „Wir müssen zweifellos mehr arbeiten!“

Sie sollten sich ein Beispiel an dem Mann nehmen. Alleine in der Legislatur von 2009 bis 2013 hat der Mann nur mit Nebenjobs rund 2 Millionen € gemacht. Das nenne ich Leistungsbereitschaft. Würde man einen Mindestlohn von zwölf Euro zugrunde legen, den Steinbrück zeit seines Lebens bis aufs Messer bekämpft hat, musste das arme Schwein in den vier Jahren jeweils 114 Stunden nebenher arbeiten  – am Tag!

Aus dieser beklagenswerten Existenz wollte er sich Richtung Kanzleramt retten, obwohl er sich zwei Monate nach seiner Aufstellung beschwerte, der Job sei wiederum unterbezahlt. Nachdem er die Wahl erwartungsgemäß vergeigte, holte ihn der Vorstand der ING-DiBa-Bank wegen guter Führung vorzeitig aus dem Parlament. Wir gratulieren nachträglich!

Wohin uns Einspar- und Privatisierungsirrsinn langfristig führen werden, kann man derzeit an zwei Beispielen beobachten: Großbritannien und Griechenland. Im Land von Fish & Chips haben die Krankenhausärzte seit der Finanzkrise 35 % Reallohn eingebüßt, weshalb sie jetzt verständlicherweise streiken. Die Patienten dürften ohnehin kaum einen Unterschied merken; auf den Behandlungswartelisten stapeln sich inzwischen rund 8 Millionen Namen.

Während die Briten bereuen, die EU verlassen zu haben, fragen sich die Hellenen, ob sie nicht schon längst hätten austreten sollen: vom jahrelangen Spardiktat gebeutelt, sehen sie sich jetzt außerstande, die Feuer- und Hochwasserschäden in Ordnung zu bringen, die der Treibhauseffekt ihnen einbrockt. Da man mit einem Mindestlohn von vier Euro die Stunde nicht einmal existieren, geschweige denn eine Binnenkonjunktur ankurbeln kann, sieht die rechtskonservative Regierung die Lösung darin, die erlaubte Tagesarbeitszeit auf 13 Stunden anzuheben. Gleichzeitig wird im Parlament das Streikrecht unter Beschuss genommen.

Und um dem obligatorischen Stammtischgespräch vorzugreifen, dass die Griechen mit ihren geschönten Bilanzen sich den Mist selbst zuzuschreiben hätten, ein kurzer Gedanke: wenn unser Finanzminister mal wieder Scheiße baut und Milliarden aus dem Fenster katapultiert, ist der Deutsche auch alles andere als begeistert, die Zeche bezahlen zu müssen. Im Gegenteil, sich darüber zu beklagen ist ein regelrechter Volkssport. Allerdings ist es mit Jammern alleine nicht mehr getan; wenn wir den Einfaltspinseln in Berlin nicht bald in den Arm fallen, werden wir das nämlich bald auf einem völlig anderen Niveau tun müssen.

Wir brauchen weder in der BRD noch in Europa eine Schuldenbremse, die nicht einmal in der Lage ist, die Verschuldung zu bremsen; wir brauchen eine Notbremse, die die Not bremst.

Große Probleme im Kleinen...

(Teil 1)

… entstehen häufig aus Fehlentscheidungen im Großen. Bereits seit Monaten wappnen sich die Stadtverordneten seelisch und moralisch für das Donnerwetter, das im kommenden Kommunalwahlkampf auf sie herabregnen wird – je nach persönlicher Neigung mittels entspannender Bettlektüre oder Spätlese. Abgesehen von Bemühungen um das eigene mentale Gleichgewicht gehen ihnen nämlich schnell die Handlungsoptionen aus, denn die ohnehin schon an allen Ecken und Enden zu knappen Finanzmittel sehen sich gerade einem Offensivbeschuss ausgesetzt, der langfristig das Zeug dazu hat, ganze Landstriche zu verwüsten. Mit der Schwarzen Null auf der Fahne mäht Stempelritter und Finanzphilister Christian Lindner alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt – und kann im neoliberalen Mordrausch Freund und Feind längst nicht mehr unterscheiden.

Nach der Klausurtagung der Chaosampel in Merseburg stellte sich ein sichtlich zufriedener Lindner vor die Kameras und verkündete seinen Auftraggebern noch mehr Steuererleichterungen für Immobilienkonzerne und weitere Maßnahmen aus dem etwas blumig benannten „Wachstumschancengesetz“. Bauministerin Klara Geywitz glaubt übrigens, dann werden plötzlich mehr Wohnungen gebaut, nur falls Sie dachten, der Aberglaube an die Merseburger Zaubersprüche sei ein Relikt des Frühmittelalters.

Unser Finanzminister entpuppt sich mehr und mehr als eine Art fiskalpolitischer Doppelagent. Er sieht seine Aufgabe nicht darin, den Staat finanziell handlungsfähig zu halten – was eigentlich sein Job wäre – sondern im Gegenteil darin, ihn immer mehr zurückzustutzen. Leute wie er sind fest davon überzeugt, dass es diesem Land wirtschaftlich enorm zum Vorteil gereichte, als vor allem Schröder die staatlichen Institutionen aus der Wirtschaft abzog und den freien Markt Rumba tanzen ließ. Auf dem Papier stimmte das sogar; im Finanzsektor erreichten Umsätze und Gewinne nicht gekannte Höhen. Genau wie zuvor schon in den USA und Großbritannien geschehen, aber entgegen der naiven Erwartungen der Herren Fischer oder Eichel dienten diese enormen Geldmengen allerdings nicht als Startrampe eines allgemeinen Konjunkturaufschwungs, sondern landeten zu weiten Teilen in den Taschen von Porsche-Aktionären, Schampuswinzern und Pablo Escobar.

Als Schröders rot-grüne Sozialvandalen in ihrer unendlichen Weisheit die Erlöse aus dem Verkauf von Unternehmensvermögen auch noch steuerfrei stellten, nahm die systematische Aushöhlung vormals robuster Unternehmen so richtig Fahrt auf. Investoren rissen sich Firmen unter den Nagel, schlachteten sie aus, durften den Gewinn auch noch steuerfrei einstreichen und wenn die Firma an der verlorenen Substanz zu Grunde ging, zogen sie weiter auf der Suche nach dem nächsten Opfer. In diesem Kontext prägte Müntefering übrigens das berühmt gewordene Zitat mit den „Heuschrecken“ - was stark an Frankenstein erinnert, der sich vor dem eigenen Monster ekelt.

Was Lindner im Augenblick mit der BRD veranstaltet, folgt einem ähnlichen Prinzip, geht allerdings sehr viel weiter. Er versucht eine Umverteilung von unten nach oben durchzupeitschen, die die Verarmungsorgie von vor zwanzig Jahren sogar noch übertrifft. Sein Haushaltsentwurf sieht unter anderem Folgendes vor:

  • Müttergenesungswerk und Familienferienstätten: jeweils - 93%
  • Jugendbildungsstätten: - 77%
  • Bafög: - 24%
  • Wohngeld: - 16%

 

Wie soll man das nennen, wenn nicht soziale Kriegführung? Man holt sich die Kohle von genau jenen Menschen, die sich aus eigenen Mitteln nicht helfen können. Und diese krabbeln nicht nur ohnehin schon am Existenzminimum herum, sie werden auch immer zahlreicher. Und immer zahlreicher werden auch die Rattenfänger der AfD, die sich angesichts des dräuenden Klassen - und Kulturkrieges so kräftig die Hände reiben, dass so mancher Verzweifelte die entstehende Energie mit Nestwärme verwechselt.

Es wirft ein düsteres Licht auf die SPD, dass Lindner mit seinem Knecht – Ruprecht – Wunschzettel 2017 sogar bei Merkel auf Granit biss.

Klimaschutz an Waldorfsalat

Fühlen Sie sich auch so beruhigt, nachdem der Landtag – bzw. die SPD - das neue Klimaschutzgesetz durchgewunken hat? Das neue Gesetz enthält alles, was sich der engagierte Sozialpädagoge nur wünschen kann: ein Strategiekonzept soll erstellt werden, eine Koordinierungsstelle eingerichtet, ein Beirat ebenfalls, die Akzeptanz in der Öffentlichkeit soll gefördert werden und wie üblich wird die Situation genau beobachtet. Ein Glück, dass darauf endlich mal jemand gekommen ist. Die Abgeordnete Kira Braun äußerte in diesem Zusammenhang „In 30 Jahren wird man sich fragen, ob die Politik es angesichts dieser Jahrhundertherausforderung geschafft hat, aus alten Mustern auszubrechen.“ Nun, das wäre ja glücklicherweise geklärt. Mit der selben Konsequenz, mit der Staatschefs Jahr für Jahr rund um den Globus jetsetten, um auf der xten Weltklimakonferenz bei Häppchen und Wein darüber zu fachsimpeln, wann man mal wieder ein Treffen abhalten könnte, um sich endlich zusammenzusetzen, um ein für allemal zu klären, worüber man unbedingt mal reden müsste; ja, mit der gleichen Konsequenz werden erbarmungslos Konzepte, Strategiepapieren und Erhebungen unters Volk geworfen. Bedauerlicherweise trägt der damit einhergehende Papierkrieg durch die Waldabholzung mehr zur Klimaerwärmung bei, als das etwas dabei rauskommt. Als der Klimaschutz in den neunziger Jahren begann, ein ernsthaftes politisches Thema zu werden, hatte er von Anfang an das Problem, dass er das Anliegen der Birkenstockfraktion war. Der Kabarettist Volker Pispers bezeichnete die Ära Trittin zutreffend als „die Sozialpädagogisierung der Umweltpolitik“. Die Generation Sitzkreis hatte gegen die knallharten Rechner in den Lobbyverbänden nie eine Chance.

Der Versuch, diese mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, geht in der Regel nach hinten los. „Die Landesregierung erstellt unter Beteiligung der Öffentlichkeit ein Konzept zu den wesentlichen Klimaschutzstrategien [...]“ steht im Gesetzestext. Mit „Öffentlichkeit“ ist in diesem Fall ein Unternehmen gemeint, das mit der Erstellung beauftragt werden soll. Ist im ganzen Ministrium niemand auffindbar, der das machen könnte? Muss man davon ausgehen, das Frau Berg die bisherigen fünfzehn Monate damit zubrachte, noch die letzte Besenkammer nach jemanden abzusuchen, der etwas von Klimaschutz versteht? Wozu so viel Geld ausgeben? Da das Konzept vermutlich ebenso konsequent umgesetzt wird wie die bisherigen, könnte es auch der Portier schreiben.

Aber diesmal macht die Politik sicher Ernst, sogar die Grünen. Frontfrau Annalena Baerbock hat zumindest an der Ostfront die Samthandschuhe ja inzwischen ausgezogen und an der Heimatfront die Untertanen auf wortwörtlich kalten Entzug gesetzt. Die Partei hat inzwischen begriffen, dass mindestens 80% der Bevölkerung sie nicht wählen werden, ehe in Alaska Palmen wachsen. Wenn man überhaupt nicht mehr versucht, die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden, eröffnet das einem ganz andere Handlungsoptionen. Sie müssen nur noch ihre Kernwählerschaft bedienen, die sich schon längst nicht mehr mit der Frage aufhält, ob ein zweieinhalb – Tonnen – SUV mit 500 PS umwelttechnisch wirklich der große Wurf sein kann, nur weil er mit Strom läuft. Den Preis für die schöne neue Welt zahlen wie üblich andere und in der vielbeschworenen „Mitte“ ist inzwischen nicht mehr viel los. Die Lücke zwischen Privatjet und Privatinsolvenz wird immer größer. Solange dieses Problem nicht gelöst ist, werden ein paar Plakatkampangen nicht reichen, um die Menschen für den Klimaschutz einzunehmen – erst recht nicht, wenn sie ihn mit den Grünen assoziieren.

Wer schon an der Gegenwart verzweifelt, hat keine Kraft, sich um die Zukunft Gedanken zu machen.

Aus faulender Demokratie: Eine (selbst-)kritische Reflexion zum Erfolg der AfD

(Teil 5: Die berühmte Lügenpresse)

Bekanntermaßen wird die AfD von Beginn an von der elenden Systempresse ignoriert, geschmäht, absichtlich missverstanden und generell behandelt wie eine Partei voller Rechtsradikaler – was selbstverständlich nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte. Diesseits der Realität gewinnt man eher den Eindruck, je weiter die Transformation von einer stinknormalen Sockenbüglerpartei zu dieser grotesken Realsatire voranschritt, desto begeisterter wurde die Fortsetzungsshow von den Medien aufgegriffen. Björn Lucke (die Älteren werden sich erinnern), sicherlich ein Erzkonservativer, aber eher kein Nationalist, gründete 2013 die AfD und fiel wenig später dem Petry – Putsch zum Opfer. Er gründete daraufhin 2015 „ALFA“ und verschwand vom politischen Radar. Petry dagegen – sicherlich eine Nationalistin, aber vermutlich keine wirkliche Rechtsradikale – plumpste 2017 links von der Vorstandsbank, gründete bei ein paar Fläschchen Weißwein die „Blaue Partei“ und geriet ebenfalls in Vergessenheit. 2022 strich auch ihr Kompagnon Jörg Meuthen die Segel und floh zur Zentrumspartei, die bereits seit 90 Jahren ein ziemlich scheintotes Dasein führt. Mit Alice Weidel und Tino Chrupalla sind nun zwei ausgewachsene Rechtsaußenstürmer am Ruder und finden sich in Zeitung, Fernsehen und Radio Tag für Tag, von der Präsenz bei Facebook und Twitter will ich gar nicht erst anfangen. Alles scheint also darauf hinzudeuten, dass ein ordinärer Wald – und – Wiesen – Rechtskonservativer bei weiten nicht das Gehör findet wie ein strammer Reichsparteitagsredner vom Schlage eines Gauland oder Höcke.

Auf der Jagd nach der heiligen Einschaltquote fielen zuerst die Talkshows um. Ignoranz von Seiten der „Systemmedien“? Pustekuchen! Die so geschimpfte „Flüchtlingswelle“ spülte die Populisten ab 2015 in sämtliche Fernsehstudios des Landes und ihr Lieblingsthema wurde von früh bis spät ausgewalzt. Wenn Sie bei Google „Lanz Flüchtlinge“ eintippen, kommen Sie auf über 650.000 Treffer; versuchen Sie „Anne Will AfD“ auf fast 3 Millionen. Schwerlich ein Indiz für mangelnde Aufmerksamkeit.

Wegbereiter waren hierbei allerdings andere. Ungern erinnert man sich daran, wie Thilo Sarrazin 2010 rassistische Beleidigungen als Geldquelle entdeckte und anschließend zehn Jahre und drei Parteiordnungsverfahren lang zum Märtyrer aufgeblasen wurde. Nur um einmal klarstellen, wie tief dieser Humbug in unserer Gesellschaft sitzt: sogar jedermanns Lieblingsaltkanzler Helmut Schmidt nahm das schnauzbärtige Elend in Schutz. So eine Karriere als Wehrmachtsoffizier zieht offenbar nicht ganz spurlos an der Festplatte vorbei.

Das Niveau ist seitdem keineswegs gestiegen, im Gegenteil. Während ihrer zügigen Reise von rechts nach ganz weit rechts hängen die „Gesichter“ der Bewegung, um es höflich zu formulieren, das Stöckchen immer wieder ein Stück höher, und Medien wie Politiker springen und springen, anstatt sich auf ernsthafte Politik zu konzentrieren und die Schreihälse einfach mal ein paar Monate sich selbst zu überlassen. Bei der Linken hat die Strategie funktioniert, Pech für uns.

Stattdessen verzweifeln ganze Scharen von Journalisten beim Versuch, mit Bernd Höcke ein halbwegs vernünftiges Interview zu führen. Entweder man stellt die Fragen, die der Mann hören will; wenn man anschließend noch einen Funken journalistischer Integrität aufbringt, schmeißt man das ganze Gespräch dann sofort in den Papierkorb. Ist man allerdings doch so dreist, seine Führigkeit kritisch hinterfragen zu wollen, reagiert Höcke mindestens ebenso neurotisch wie die notorisch traumatisierte Schneeflockengeneration, die man doch angeblich so verachtet. Die Reaktion von Höckes Pressesprecher Lachmann gegenüber ZDF-Reporter David Gebhard klang 2019 jedenfalls so: „Sie haben jetzt Herrn Höcke mit Fragen konfrontiert, die ihn stark emotionalisiert haben, und diese Emotionen möchte … glaube ich, sollte man so nicht im Fernsehen bringen.“

Andere Parteikameraden sind härter im Nehmen, einige haben sogar beeindruckende sportliche Qualitäten. Würde man bei den Olympischen Spielen die Disziplin „Zurückrudern“ einführen, wäre der BRD die eine oder andere Medaille sicher. Redlichen Anspruch auf die Führung des Nationalkaders könnte Beatrix von Storch beanspruchen, die mit Vorliebe schon mal den Schießbefehl gegen Flüchtlingskinder fordert. Das bewährte Vorwärts – Rückwärts – Manöver ist die Pfeifenmelodie, nach der die Rechtslenker die Öffentlichkeit tanzen lassen: mit einer möglichst provokanten Aussage in Presse und Internet erstmal kräftig Staub aufwirbeln und ein, zwei Tage abwarten, bis die Empörungsmaschinerie heißgelaufen ist. Dann wird postuliert, man hätte das so überhaupt nicht gesagt, würde aber möglicherweise, wenn wir nicht in einer von Zensur und politischer Korrektheit bestimmten Meinungsdiktatur hausen müssten. So schlägt man zwei Fliegen mit einem Paddel: die konservative Klientel ist beruhigt und die Reptiloiden – Chemtrail – Reichsflugscheiben – Fraktion reif für die nächste Tollwutspritze. Anschließend jammert man jedem, der es hören will, und jedem, der es nicht hören will, die Ohren voll, die etablierte Presse hat sich gegen die AfD verschworen, man wird unverschuldet in die rechte Ecke gedrängt, mit freundlichen Grüßen, Unterschrift, der Sekretär weiß Bescheid.

Und wenn die etablierte Presse in der BRD tatsächlich von einer linksgrünen, verfeindeten Macht gesteuert würde, würde kein Hahn nach der AfD krähen.

Aus faulender Demokratie: Eine (selbst-)kritische Reflexion zum Erfolg der AfD

(Teil 4: Freund des kleinen Mannes?)

So präsentiert sich die AfD jedenfalls vehement: als tapferer und chronisch missverstandener Kämpfer für den geplagten Arier von nebenan. Betrachtet man hingegen ihr Abstimmungsverhalten im Bundestag, offenbart sich ein Sozialverständnis aus dem Kapitalismuszeitalter der Dampfmaschine. Aber wozu hier groß Worte verlieren? Lassen wir die Fraktion für sich sprechen:

 

  • November 2018: Die AfD – Fraktion unterstützt einen Antrag der FDP (genau genommen unterstützt sie sogar die meisten FDP – Anträge), der forderte, kurzfristige Beschäftigungen dauerhaft bis 70 Arbeitstage zuzulassen. Wäre der Antrag angenommen worden, hätte er vor allem bei den Ausbeutern polnischer Erntehelfer und rumänischer Kellnerinnen die Kassen klingeln lassen – sprich: von Lohnmigranten. Danke, Weidel!
  • November 2019: Was schon niemand mehr für möglich gehalten hatte, wird Realität: der Solidarzuschlag wird (zumindest für die unteren rund 90% der Bevölkerung) tatsächlich abgeschafft. Nicht einmal dafür konnte sich die blaue Truppe begeistern. Das kam einigermaßen überraschend, war der Soli doch in den 40 Jahren davor der Aufreger schlechthin von Bild- Zeitung bis Bierthresen. Aber in einer echten Volksgemeinschaft ist ein Soli auch – und gerade – einem bescheidenen, hart arbeitenden Menschen mit sechsstelligem Jahresgehalt nicht zuzumuten und eingedenk der erfolgreichsten aller Kriegsstrategien verfuhr man nach dem Motto: Alle oder keiner! Das ist der Unterschied zwischen Solidargemeinschaft und Volkskörper!
  • Juni 2020: Der Bundestag stimmt über einen "Kinderbonus" in Höhe von 300 € ab. Bei der AfD schien man der Auffassung zu sein, das Mutterkreuz sollte reichen.
  • Juni 2022: Die einzige halbwegs angemessene Mindestlohnerhöhung in der Geschichte der BRD passiert den Bundestag. 12 €, endlich! Die AfD zieht es vor, sich zu enthalten. In Richtung Regierungsbank die Klappe immer offen, beim Kapital mucksmäuschenstill.
  • November 2022: Der Bundestag stimmt über die Einführung des Bürgergeldes ab. Die AfD zeigt sich unwillig, dem vielbeschworenen "kleinen Mann" so weit entgegenzukommen. Überraschend? Wohl kaum. Menschen, die sich nicht wehren können, ihre Arbeitskraft gegen ihren Willen abzupressen und ihren Selbstrespekt zu untergraben, hat in diesen Kreisen durchaus Tradition.

 

 Wem das noch nicht genügt: auch ihr Bundeswahlprogramm lässt tief blicken. So heißt es in dem Abschnitt "Wirtschaft und Arbeit" wie folgt: "Wir wollen die Wirtschaft von politisch herbeigeführten Belastungen komplett befreien." Das ist eine ausgewachsene Breitseite, denn von Umweltschutzauflagen über den Mindestlohn bis hin zum – oh ja! - Anwerben osteuropäischer Billiglöhner könnte alles Mögliche betroffen sein. Etliche Parteikader machen sich übrigens auch schon seit Jahren für Rentenreformen stark, die ebenso auf dem Weihnachtswunschzettel eines Lindners stehen könnten. Sehr hervorgetan hat sich da übrigens der Ossifänger aus Westfalen, Bernd Höcke. Der setzt sich nicht nur dafür ein, die Altersgrenze für den Renteneintritt abzuschaffen (zu Deutsch: Du darfst in Rente gehen, sobald du es dir leisten kannst), sondern auch für die Beibehaltung der Beitragsbemessungsgrenze. Das heißt im Klartext: völlig gleich, wie viel man verdient, der Beitrag zur gesetzlichen Rente kann nicht höher steigen als derzeit 1357,80 € im Monat. Es braucht nicht nur eine Mauer um Europa, sondern auch einen Schutzzaun für die Wohlhabenden. Sollte einer dieser Geldsäcke zusätzlich auch noch ihr Chef sein, sind sie im Falle der Machtergreifung sozialversicherungstechnisch doppelt angeschmiert.(abgesehen von allem anderen). Einige in der AfD wollen die gesetzliche Rente gleich komplett abschaffen, andere wollen stattdessen die "Lohnnebenkosten" senken. Diese "Lohnnebenkosten" – die Überlebenden der Merkel – Diktatur erinnern sich möglicherweise – sind die Sozialabgaben, die der Arbeitgeber für seine Angestellten blechen muss. Wenn diese gesenkt werden, muss die Lücke logischerweise von jemand anderem gestopft werden – und Sie dürfen dreimal raten, wer das ist.

Kurzum: Die AfD predigt bei Lichte betrachtet sozialpolitisch denselben Käse, den uns Lindner, Westerwelle und Möllemann jahrzehntelang um die Ohren gehauen haben, übrigens auch mit derselben Sachkompetenz. Jörg Meuthen schlug allen Ernstes vor, mit Steuermitteln sowohl die Rente zu finanzieren als auch Niedriglöhne – quasi als Quersubventionierung – aufzustocken. Die dafür nötigen Steuereinnahmen setzen sich vermutlich zusammen aus dem, was die Niedriglohnsklaven nicht bezahlen können und den lohndumpingbedingten Mehreinnahmen, die die Sklavenhalter in die Schweiz abschieben. Sollte noch etwas fehlen, stocken wir es mit den Moneten auf, die die Wohlhabenden den Sozialkassen vorenthalten. Der Führer verschob seinerzeit noch längst nicht mehr existente Armeen, die AfD nicht existente Gelder. Realität ist nicht für jedermann

Aus faulender Demokratie: Eine (selbst-)kritische Reflexion zum Erfolg der AfD

(Teil 3: Das Individuum im Staat)

Am Montag verkündeten es die Nachrichten: Ein AfDler wird Landrat des thüringischen Sonneberg. Nachdem die Stichwahl gegen den Kandidaten der Union lange Zeit auf der Kippe stand, ging man mit der Drohung, dass dieser von Union, SPD, Grünen und FDP unterstützt wird, schlussendlich auf Nummer sicher. Die Vorstellung der ganz, ganz großen Koalition muss den Sonnebergern einen gehörigen Schrecken eingejagt haben. Ein Lokalbeitrag aus der Saarbrücker Zeitung vom 22. Juni steht exemplarisch für den Mist, auf dem das Unkraut AfD am schönsten gedeiht. Die Schlagzeile lautete: „Bürgerbefragung im Keim erstickt“, und mit genau diesem Problem wurde seit Jahrzehnten Höckes Überholspur geteert. Die durchaus berechtigte Frage, ob unser rein repräsentatives demokratisches System in dieser Form überhaupt noch zeitgemäß ist, wird seit Jahren ausschließlich mit „Verschwörungstheoretikern“ und „Populisten“ assoziiert – für gewöhnlich von jenen Politikern und Journalisten, die ihre Lufthoheit in der öffentlichen Diskussion ein bisschen zu sehr genießen. „Die da oben“ pauschal als abgehobene Elite abzukanzeln, mag primitiv sein, umgekehrt würde den Welt – und Wortlenkern in Parlamenten und Redaktionen ein bisschen Selbstkritik allerdings auch nicht schaden. Das gilt nicht nur für die auflagenstarken Tageszeitungen, die ihrem Auftrag als „Vierte Gewalt“ bereits seit Dekaden Hohn sprechen; schlimmer noch: einst progressive Blätter wie taz oder Süddeutsche machen aus ihrer Verachtung für die ach so primitive Unterschicht inzwischen keinen Hehl mehr. Keinen Deut besser beispielsweise ein Robert Habeck, der genau zu jenem Zeitpunkt, an dem die Bevölkerung von Energiekonzernen schlimmer denn je gebeutelt wird, mit einem bulldozerhaften politischen Gespür seine Wärmepumpen durchzudrücken versucht. Eine sinnvolle Strategie für die Millionen von Menschen, die sich die grüne neue Welt schlicht nicht leisten können? Fehlanzeige!

Bei derartigen Projekten werden die Bürger für gewöhnlich nicht an den Entscheidungen, sondern nur an den Kosten beteiligt. Das es inzwischen mit dem vielbeschworenen „Vertrauen in die Politik“ nicht mehr weit ist, kann nur Menschen überraschen, die von der Lebensrealität der unteren 50% keinen blassen Schimmer haben. Die stehen inzwischen nur noch hilflos vor den Trümmern dessen, was ihnen auf Wahlplakaten wahlweise als „Modernisierung“, „Wachstum“ oder gar „Respekt“ angedreht wurde. Dieser „Respekt“ sieht derzeit so aus, dass der Mindestlohn inmitten der größten Inflationswelle seit einem halben Jahrhundert von 12 € auf – man höre und staune – 12,41 € steigen soll. Dieser Hohn wird von Arbeitsminister Heil mit einem Verweis auf die Gesetzgebung verteidigt, wonach die Regierung entweder den Vorschlag der Mindestlohnkommission umsetzen kann oder es gibt eben gar nichts. Eine vertrackte juristische Sackgasse; wer könnte daran etwas ändern? Ein Arbeitsminister vielleicht? Der kassiert wie alle Kabinettsmitglieder in diesem Haushaltsjahr 3000 € Inflationsausgleich und versteht ums Verrecken nicht, warum seine eigenen Wähler ihn nicht mehr sehen können.

Der Grund für den Zulauf in Richtung rechter Rattenfänger geht weit über Fragen von Zuwanderung oder „patriotische“ Befindlichkeiten hinaus. Es hängt ganz entscheidend damit zusammen, dass der Parteienblock aus SPD, Union und den jeweiligen Steigbügelhaltern, der sich seit 75 Jahren in der Regierung wechselseitig das Ruder herumreicht, die Bevölkerung in einem kafkaesken Netz aus Zuständigkeiten, Paragraphen und blankem Bürokratiewahnsinn versponnen hat, in dem sich kein normaler Mensch mehr als Herr seiner eigenen Existenz fühlen darf. Dennoch scheint sich keiner der Volksvertreter in Berlin für die Situation verantwortlich zu fühlen. Das Grundproblem des repräsentativen Regierungssystems liegt in einer boshaften Verdrehung des grundlegendsten Prinzips demokratischer Staatsethik: dass jede Machtausübung legitimiert und gerechtfertigt sein muss. Unsere Exekutive fühlt sich jedoch jedem Rechtfertigungsdruck entzogen, da wir alle vier Jahre die Legitimierung für sie erledigen. Dass viele „Berufspolitiker“ Wahlen nur noch als eine Formalität, eine Verlängerung ihres Arbeitsvertrags zu betrachten scheinen, ist für eine Demokratie das größte Armutszeugnis, dass man sich vorstellen kann.

Es ist das Gefühl von Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein, dass die Menschen zu dieser Wahlentscheidung treibt. Teilweise sicherlich aus ernsthaft rechter Gesinnung, zu einem noch größeren Teil allerdings aus Frustration, Rache oder vielleicht auch der Versuch, eine Botschaft zu senden: „Seht her, wie weit Ihr uns treibt!“

Wenn man sich allerdings mal näher anschaut, wer sich hier urplötzlich zum Vertreter des „kleinen Mannes“ aufzuspielen versucht, kommt einem das Gruseln. Dafür müssen wir den Blick nicht einmal ganz so weit nach rechts schweifen lassen. „Im normalen Leben beschäftigen sich die Menschen nicht mit ´Indianern´ und ´Mohrenstraßen´, sondern mit Inflation und Wohnungsnot“, schrieb vor ein paar Wochen ausgerechnet Friedrich Merz. Frage an Sie: Glauben Sie ernsthaft, wenn unser ehemaliger Blackrock – Finanzhai und Privatjetbesitzer im, sagen wir mal, Berliner Senat säße, wäre ihm plötzlich Volkes Stimme erschienen wie Jesus und er hätte den Volksentscheid über die Enteignung der Immobilienkonzerne durch die Gremien gezerrt? Eine amüsante Vorstellung, aber sein ehemaliger Brötchengeber hätte ihn durch sämtliche Fleischwölfe des Landes gedreht.

Auch die AfD hat keinerlei Interesse daran, ihrem Wahlvieh einen Platz auf der politischen Bühne einzuräumen, wo es im Weg stehen könnte. Wozu auch, setzt sich der Parteivorstand doch wesentlich aus Anwälten, Unternehmensberatern und sonstigen Schefflern zusammen, die mit ihrer eigenen Wählerzielgruppe außer dem Pass verdammt wenig gemeinsam haben. Natürlich ist es möglich, den Menschen das zu vermitteln; dass fast 20% der Wähler ihr Kreuz aus völkischem Fanatismus heraus setzen würden, wäre in der deutschen Geschichte tatsächlich neu. (Aus einer So-geht-die-Scheiße-nicht-weiter-Haltung heraus kam das allerdings schon vor.) Dazu muss man ihnen aber auch in die Augen sehen, und das klappt nur, wenn man die Nase nicht zu weit oben trägt.

Aus faulender Demokratie: Eine (selbst-)kritische Reflexion zum Erfolg der AfD

Teil 2: Geschichte

„Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“, so heißt der größte Hit des Reichsverwesers Alexander Gauland, den er pünktlich zur Eröffnung des Sommerlochs 2018 in der BILD – Hitparade platzierte. Jetzt gibt es Deutschland als Staat zwar erst seit rund 150 Jahren; noch bizarrer wird Gaulands Äußerung aber, wenn man die Uhren tatsächlich einmal 1000 Jahre zurückdreht. Das damalige Heilige Römische Reich – der Zusatz „deutscher Nation“ tauchte erst Jahrhunderte später auf – wurde von Heinrich II. regiert, der im Laufe seiner Regentschaft mehrfach mithilfe von Wotan anbetenden Hinterwäldlern aus dem heutigen Brandenburg versuchte, Polen zu erobern – traditionsgemäß vergeblich.

Zwei Minuten auf Wikipedia hätten ihn vor diesem Fettnapf bewahren können; noch viel peinlicher wird es allerdings, wenn man es qua Diplom eigentlich besser wissen müsste. Einerseits sei die deutsche Gemütsverfassung immer noch die „eines brutal besiegten Volkes“, die Bewohner anderer Länder können das der Theorie nach aber scheinbar besser wegstecken. Man dürfe Kolonisation nicht ausschließlich negativ sehen, die Deutschen hätten mit ihrer Tüchtigkeit in Afrika einen „Wohlstandsaufbau“ vorangetrieben, so tönte es aus Bernd Höcke, ehemaliger Geschichtslehrer und fleischgewordenes Bildungsversagen. Das hängt natürlich davon ab, von wessen Wohlstand hier die Rede ist. Von einem „Wirtschaftswunder Außenstelle Deutsch-Ostafrika“ kam mir zumindest noch nie etwas zu Ohren. In einer weiteren Rede forderte er übrigens, Deutschland solle seine „verlorene Männlichkeit“ wiedergewinnen. Was der Männlichkeit des armen Mannes zugestoßen ist, war bei Redaktionsschluss allerdings noch unklar. Wahrscheinlich einer dieser seltsamen Jagdunfälle.

Der Gerechtigkeit halber muss man allerdings zugeben: in mindestens einem Punkt sind Teile der politischen Linken (bzw. solche, die sich dafür halten) der AfD gnadenlos auf den Leim gegangen. Gelegentlich wanzen Höcke oder andere „Kämpfer für den kleinen Mann“ sich gerne mal an linke Positionen heran, was natürlich auch Sinn ergibt; die Wall-Street-Broker, die ganze Volkswirtschaften in den Dreck ziehen, mag jetzt niemand so richtig leiden. (Dass ihre eigene Bundessprecherin ihr wohlgenährtes Schweizer Sparschwein hauptsächlich ihren Jobs bei Goldman Sachs und Allianz Global Investors zu verdanken hat, scheint denen leider entfallen zu sein.) Wer an dieser Stelle reflexartig „Antisemitismus!“ brüllt, weil man durch das offene Tor der Kapitalismuskritik direkt bis zum Mythos des „globalen Finanzjudentums“ durchpreschen will, sollte aufpassen, nicht die eigenen Positionen in ein seltsames Licht zu stellen. Auch von einem Antisemiten geäußert, wird die sachliche Feststellung, dass der Himmel blau ist, nicht zur antisemitischen Aussage. Stattdessen stellt sich der liberale Feuilleton mit Vorliebe selbst ein Bein, indem es versucht, den KZ – Wachmann im Gewand des Globalisierungskritikers zu finden. Damit liefert man den neoliberalen und konservativen Gazetten ebenjene Munition, die jetzt Aktivisten von Attac bis Indymedia um die Ohren geschossen wird.

Auch die von der AfD gerne geschmähte Erinnerungspolitik könnte eine Frischzellenkur durchaus vertragen. Steinmeiers pseudo – staatsmännische Rolle im rituellen Gedenkgottesdienst hängt den Leuten in der Tat zum Hals raus. Das Problem ist hier allerdings gar nicht so sehr der angebliche „Schuldkult“, sondern die Tatsache, dass lieber staatstragend Betroffenheit heruntergeleiert wird, als konkrete Konsequenzen für zeitgenössische Politik zu ziehen. Sicher wird Afrika immer noch ausgebeutet, sicher scheffeln Rheinmetall und Krauss – Maffei ihre Milliarden immer noch auf Leichenbergen – aber wir gehören jetzt zu den Guten! Wir gehören zu den Guten, weil wir bereuen!  Das ist besser als Katholizismus: Verbrechen in aller Welt begehen und dann die Sünden von Opa beichten.

Wie wäre es, wenn wir tatsächlich mal eine erinnerungspolitische Wende vollziehen? Reden wir zur Abwechslung mal über die NSU statt über die SS. Über die Toten der letzten 30 Jahre statt über die von vor 80 Jahren. Hören wir auf so zu tun, als wäre das Problem ein rein historisches. Dann werden die Rechten in Zukunft vielleicht vorsichtiger sein, was sie sich wünschen.

Natürlich kann das nur funktionieren, wenn man dann mit der Diskussion auch wirklich ernst macht. Dann müssen wir uns ernsthaft die Frage stellen, wie viel unseres Wohlstandes wir bis heute der Ausbeutung der Dritten Welt verdanken, die sich heutzutage „wirtschaftliche Kooperation“ oder „Strukturanpassung“ schimpft. Oder ob die Gründung unserer BRD mit hohen Tieren wie Globke, Gehlen oder Kiesinger wirklich unter einem guten Stern stand. Oder ob wir dem Verfassungsschutz trauen können. Was ist los, oberster Staatsmann? Plötzlich so leise…

Aus faulender Demokratie: Eine (selbst-)kritische Reflexion zum Erfolg der AfD

Teil 1: Vorwort

18% für die AfD in den Umfragen! Die Nation schlägt die Hände über dem Kopf zusammen wie eine Babysitterin, die den verhaltensauffälligen Sprössling monatelang unbeaufsichtigt ließ und sich jetzt über die vollgekritzelten Wände und die streng riechende braune Pampe wundert. Kein schöner Anblick. Im gleichen Atemzug wird in der Regel hervorgehoben, dass sich die AfD jetzt gleichauf mit der SPD befindet; doch während die Frage, warum immer noch 18% der Wähler bereit wären, ihr Kreuz bei Scholz´ Chaostruppe zu setzen, in der Tat ein Mysterium darstellt, können wir versuchen, dem Erfolg der rechten Bauernfänger auf die Spur zu kommen.

Allerdings wird es immer schwerer zu übersehen, dass wir uns in einer Demokratie- und Sozialstaatskrise befinden, die weit über die Umfrageergebnisse der AfD hinausgeht und sicher nicht mit dieser begonnen hat.

Millionen berufstätiger Menschen, vor allem Selbstständige, bekamen nicht einmal die Gelegenheit sich von dem jahrelangen Covid – Desaster zu erholen. Die Inflation alleine im Lebensmittelsektor nimmt Arbeitslosen, Studenten und Mindestlöhnern, die schon vor Jahren am Existenzminimum dahinvegetierten, jede realistische Aussicht irgendwie über den Monat zu kommen. Radikal gestiegene Energiepreise bringen längst auch mittelständische Haushalte an den Rand der Privatinsolvenz, während beispielsweise E.on in den ersten drei Quartalen des letzten Jahres 4,3 Milliarden € Profit einkassiert hat. Und nichts, rein gar nichts von all dem, was längst überfällig wäre, wird umgesetzt: keine Vermögens- oder Transaktionssteuer, keine Erbschaftssteuer, die diesen Namen verdient – nicht einmal eine Mindestlohnerhöhung, die es annähernd schafft, die Inflation aufzufangen.

All das bezeichnet ein Kevin Kühnert – der tatsächlich mal zeitweilig ein Linker gewesen sein soll – als „erfolgreich […] an den besten Lösungen für unser Land arbeiten.“ Dazu fällt dem Autor dieser Zeilen nur das berühmte Zitat des früheren baden – württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth ein: „Die Politiker in Deutschland stehen zurzeit in einem großen Verdrängungswettbewerb. Allerdings nicht untereinander – sie verdrängen gemeinsam die Realität!“

Und diese Realität ist schlicht und ergreifend, das jede Regierung der letzten 25 Jahre konsequent eine Politik verfolgte, von der nur die oberen zehn Prozent der Bevölkerung profitierten, egal ob der Vorsitzende jetzt Scholz, Merkel oder Schröder hieß (mit dem verglichen absurderweise Kohl wie ein Marxist aussah). Das macht es ziemlich einfach, die jeweilige Regierung wie eine Kaste abgehobener Realitätsverweigerer darzustellen, hundertprozentig falsch ist es sicherlich auch nicht. Allerdings wird dies der Komplexität der Situation nicht gerecht. Die allermeisten Menschen sowohl hierzulande als auch anderswo sind sich zumindest unterbewusst im Klaren darüber, dass der immer brutalere Kampf um Ressourcen und Einfluss mit politischer Schönfärberei längst nicht mehr in den Griff zu bekommen ist. Die Konsequenz, die sich daraus ergibt, ist allerdings verblüffend simpel: Entweder, wir werden die privilegierten Schichten dazu zwingen, mit uns zu teilen, oder wir lassen uns gegeneinander aufhetzen.

Leider muss man selbstkritisch dazu sagen: Gerade in letzterem Punkt ist die linke Strömung alles andere als unbegabt. In den folgenden Beiträgen werden wir versuchen, die Situation kurz auf den Punkt zu bringen, die Versprechungen der AfD unter die Lupe zu nehmen und ein paar Denkanstöße zu setzen, wo sich die Linke mal wieder selbst im Weg steht.

Weißer Kittel, Schwarzer Peter

Verfasst am 04.06.2023

Was für ein schönes Bild: der reformhungrige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach lässt endlich bitten und lädt mehrere seiner Amtskollegen aus den Ländern zum Gespräch. Sämtliche Amtsträger strahlen bei der anschließenden Pressekonferenz wie die Castortonnen und verkünden den großen Durchbruch.

Der gemeine Internist hingegen, der bei dem Wort „Durchbruch“ spontan an lebensbedrohliche Magen- oder Blinddarmkomplikationen denkt, liegt leider gar nicht so daneben. Bereits 2019 bezifferte die Deutsche Krankenhausgesellschaft den Investitionsstau auf mindestens 30 Milliarden € innerhalb von zehn Jahren, Tendenz seither steigend. Da noch nicht eingerechnet sind rund 15 Milliarden laufender Kredite und daraus resultierend 400 Millionen Zinsbelastung pro Jahr – allerdings Peanuts verglichen mit den Profiten privater Betreiber. Dennoch bekräftigte Lauterbach erst im Februar gegenüber dem Handelsblatt, Investitionen in Kliniken seien weiterhin Angelegenheit der Länder. Das hat sich auf dem letzten Bund – Länder – Gipfel aller Augenwischerei zum Trotz auch nicht im Geringsten geändert. Klingt ein wenig, als hätte er sich vom Kabinettskollegen Lindner den Problembären aufbinden lassen, die Länder schwämmen im Geld. Abgesehen davon scheint er geflissentlich die Tatsache zu übersehen, dass in immer größerem Umfang die schwarzen Bilanzzahlen zunehmend von den Betreibern immer größerer Klinikkonzerne einkassiert werden; die roten hingegen doch bitte vom Steuerzahler zu tragen sind. Was schon in anderen Wirtschaftszweigen unverschämterweise immer mehr um sich greift, kann man im medizinischen Sektor, in dem Gesundheit und Leben von Millionen auf dem Spiel stehen, mit Fug und Recht als Schutzgelderpressung bezeichnen.

Leider steht zu befürchten, dass Lauterbachs Fehler weit über simple Blauäugigkeit hinausgeht. Erstens scheint ihm entfallen zu sein, dass das Fallpauschalensystem, dank dem die Patienten ihre Krankheitsbilder an die jeweilige Buchhaltung anpassen mussten, nicht zuletzt auf seinem Mist wuchs. Zum zweiten scheint er aus damaligen Fehlern leider wenig gelernt zu haben. Über Twitter posaunte er noch wenige Monate vor Beginn der Coronapandemie in die Welt, dass man „mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollte“. Stellen Sie sich ruhig mal kurz vor, was 2020 los gewesen wäre, hätte man auf den Mann gehört. Und wir wollen in diesem Kontext nicht vergessen, dass Saarbrücken es in wenigen Jahren geschafft hat, von fünf auf zwei Krankenhäuser zu reduzieren. Und das wird uns mit Sicherheit noch leid tun. Der Versuch, die Verantwortung auf mehr Schultern zu verteilen, dürfte ein nicht unwesentlicher Grund sein, weshalb Lauterbach die Landesvertreter überhaupt eingeladen hat.

Landesgesundheitsminister Jung stimmt schonmal auf die weitere Reise ein: „zu früh, dies gänzlich auszuschließen“ sei die Frage, ob es im Saarland im Zuge der Reform weitere Krankenhausschließungen geben wird. Nach dem Kahlschlag in den letzten Jahren eine kalte Dusche, zumal es ja nicht nur Saarbrücken erwischte, sondern unter anderem auch schon Ottweiler und Lebach. Spätestens seitdem ist eines nicht mehr zu übersehen: die zunehmende Privatisierung erpresst die Länder förmlich, die finanziellen Forderungen der Betreiber zu erfüllen, da sie ansonsten mit der Bedarfsplanung nur noch erbarmungslos hinterherhinken.

Das unser Bundesgesundheitsminister und Rhön-Klinikum AG – Aufsichtsratsveteran daran viel ändern will, drängt sich derzeit allerdings nicht auf. Sein Konzept sieht vereinfacht gesagt folgendermaßen aus: Kliniken werden in drei Kategorien eingeteilt: reine Grundversorgung (Level 1), Regel- und Schwerpunktversorgung und zu guter Letzt Level 3: die Maximalversorgung in den großen Unikliniken. Nur Eingriffe und Behandlungen, für die die jeweilige Klinik zertifiziert ist, sollen abgerechnet werden können. Nun ist zwar Lauterbachs Vorstoß prinzipiell begrüßenswert, dass 40-60% der laufenden Kosten pauschal übernommen werden sollen, unabhängig von Auslastung und Diagnosen. Nur: wenn ein Level -1 – Krankenhaus praktisch nichts mehr abrechnen kann, was Einnahmen bringt – woher soll dann der Rest kommen?

Die neoliberale Ideologie vom „schlanken Staat“ hat sich längst zu einer ausgewachsenen Magersucht entwickelt. Und wie bei dieser Krankheit üblich, versagen langsam aber sicher die ersten Organe. Wenn es so weitergeht, werden wir bald auch noch amputieren müssen.

Der Verkehrswendler Teil 2: Brief an die Leser

Nachdem die Reaktionen auf unseren Beitrag „Verkehrswendler“ unerwartet emotional ausfielen, sehen wir uns gezwungen, ein paar Dinge klarzustellen. In dem Beitrag ging es darum, die Verlogenheit der deutschen Verkehrspolitik auf den Punkt zu bringen; ob man die klebrigen Protestaktionen für eine dufte Idee hält, ist eine völlig andere Frage.

Uns ist natürlich klar, dass der Mindestlohn-Malocher, der Woche für Woche betet, dass der Wagen durchhält, nicht gerade begeistert ist, wenn er wegen einer Protestaktion halbwüchsiger Besserwisser zu spät zur Arbeit kommt. Genauso ist uns klar, dass ein Leiharbeiter, der gezwungen wird von Monat zu Monat zu kämpfen, nicht allzu viele Gedanken an Umweltprobleme verschwenden kann, die in zwanzig oder dreißig Jahren eintreten. Es war auch nie die Rede davon gewesen, dass ein Schnösel, der 80.000 € für einen fabrikneuen Tesla aus der Portokasse fischt, sich deshalb wie Graf Tofu aufführen sollte.

Aber vielleicht wäre es sinnvoller, sich zur Abwechslung mal Gedanken zu machen über Lösungen, die sowohl das Klima als auch die ohnehin ziemlich gebeutelten Brieftaschen schonen, anstatt empört auf die Protestler zu starren wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Während wir uns an den Stammtischen und in den Kommentarspalten aufregen, zieht uns die FDP nämlich hinterrücks die Verkehrswende wieder aus der Tasche. Und diese Rechnung bezahlen wir alle: ob als Steuerzahler, Autobesitzer oder Bahnkunde – auch wenn wir den Treibhauseffekt aus der Gleichung streichen, wir legen alle drauf.

Das Deutschlandticket (das offiziell nicht mehr 49-Euro-Ticket genannt wird; in wenigen Monaten werden Sie wissen warum) ist noch nicht einmal in Kraft getreten, da reihen sich bereits die ersten schwergewichtigen FDP – Akteure bei den Neoliberalen ein, die den Bahnkonzern zerschlagen wollen. Und mutig wie Lindners Hofstaat von Natur aus ist, springen sie damit auf den Zug, den Bundesrechnungshof, CDU und Gewerkschaftsüberläufer Weselsky angeschoben haben.  An vorderster Front findet sich dann urplötzlich Valentin Abel, kraft eines BWL – Masterabschlusses Verkehrsexperte seiner Fraktion. Der Koalitionsvertrag sah vor, Netz und Bahnhöfe in eine Bundesgesellschaft zu überführen, immer noch unter dem Dach des DB – Konzerns. Den Liberalen reicht das nicht mehr, sie wollen die Bahn den Klauen der (auf dem Papier) staatlich geführten Misswirtschaft entreißen und heimholen ins Reich der öffentlich – privaten Partnerschaften. Hinter ihren wolkigen Formulierungen wie „Wettbewerb“ und „Anreize“ verbirgt sich eine simple Hedgefonds – Logik: den DB – Konzern in einzelne Bereiche aufsprengen, „verschlanken“, was üblicherweise eine Menge Menschen die Existenzgrundlage kostet, und sie wie scheibchenweise Filet auf dem „freien Markt“ feilbieten. Die „gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte“ soll unter dem Namen „Infrago“ Anfang 2024 in Betrieb gehen, möglichst bevor die Menschen bemerkt haben, was hier gespielt wird. Mit Gemeinwohlorientierung hat es nämlich verdammt wenig zu tun, wenn profitorientierte Konzerne die profitablen Strecken unter sich aufteilen und den Rest verrotten lassen. Die Kostenersparnisse für den Bund, die so gerne als Argument angeführt werden, sind indes ein Irrglaube – die Gewinnerwartungen werden ohne Subventionen nicht zu erfüllen sein. Das Geld, das der Steuerzahler an dieser Stelle nicht spart, darf er stattdessen vermutlich für noch teurere Tickets ausgeben. Bereits jetzt kann die Bahn ihre Bilanzen nur halten, weil der Bund seit Jahren auf seine Gewinnbeteiligungen verzichtet, wie das klappen soll, wenn die Anteilseigner auf ihre Dividenden pochen, kann sich jeder selbst ausmalen.

Die Folgen dieser Privatisierungsorgien sieht man seit den neunziger Jahren in Großbritannien: Die Preise stiegen massiv, die Instandhaltung wurde massiv vernachlässigt, wichtige Investitionen fielen dem kurzfristigen Profit zum Opfer und schlussendlich kam es zu tödlichen Unfällen. Vor gut 20 Jahren hatte die Regierung letztlich ein Einsehen und nahm die ausgelutschte und kaputtgesparte Infrastruktur wieder zurück. Das alte Lied: die Gewinne wanderten in die Taschen der früheren Eigner und der Steuerzahler durfte den Mist wieder geradebiegen. Abgesehen von einem enormen Investitionsstau „erbte“ Großbritannien Schulden in Höhe von 4,5 Milliarden Pfund.

Nach ähnlichem Rezept funktioniert die Autobahn GmbH: von Andreas Scheuer aus der Taufe gehoben, von Volker Wissing übernommen und von Oliver Luksic angeführt. Ein verkehrspolitisches Gruselkabinett. Wie großartig dieses Projekt, das zu Beginn 2021 den Betrieb aufnahm, Kosten spart, erkennt man alleine schon daran, dass bis zu diesem Zeitpunkt 130 Millionen an Beraterhonoraren aufgelaufen waren, mehr als das Fünffache der ursprünglichen Kalkulation. Und da eine Zentralisierung von Zuständigkeiten und Aufgaben bekanntermaßen mit einer Effizienzsteigerung einhergeht, wird das von den Ländern zusammengezogene Personal von rund 10.000 langfristig auf etwa 15.000 aufgestockt. Wenigstens ist in diesem Fall klar, wo das Geld dafür herkommen soll: der nächste Anlauf für die Einführung der Autobahnmaut wird derzeit ausgearbeitet.

Also machen Sie sich bitte nicht verrückt wegen der Klimakleber. Die werden es niemals schaffen unsere Verkehrsinfrastruktur in einen auch nur halb so chaotischen Zustand zu versetzen wie die Jünger der Weltreligion Kapital. Alleine schon deshalb, weil vorher für gewöhnlich eine Behörde oder ein Gericht dazwischen grätscht und wirklich brisante Aktionen abwürgt. Und die Aktivisten halten sich daran, weil sie nämlich keine Klima-RAF sind, Herr Dobrindt. So geschah es auch mit der angekündigten Aktion auf der A620. Dafür bekam die zuständige Behörde vermutlich ein Fleißkärtchen von Oliver Lucsik, der in diesem Beitrag übrigens erneut als einziger Politiker nach seiner Meinung gefragt wurde: „Demonstranten können ihre Anliegen auch ohne massive Auswirkungen für die gesamte Stadt an anderen Stellen sichtbar vertreten.“ Genau, und wenn die ostdeutschen Demonstranten „Wir sind das Volk!“ in Mühlberg an der Elbe anstatt in Berlin skandiert hätten, würde Angela Merkel 2025 ihre vierte Amtszeit als Staatsratsvorsitzende beenden.

Schöne neue Welt

Pünktlich zur feierlichen Eröffnung von vier Betonklötzen – ja, so schnell entstehen neuerdings Fußgängerzonen – lieferte die Hofberichterstattung in Form der Saarbrücker Zeitung die neuesten Erhebungen aus der Einkaufsstraße. Mit Hilfe von Zahlenspielereien wie der Division der Passantenquote durch die Einwohnerzahl oder so ähnlich verwandelt sich die Bahnhofsstraße auf wundersame Weise zum Shopping – Hotspot der Nation. Dann kann sich Herr Conradt vor seinem versammelten Hofstaat in seinem vermeintlichen Erfolg sonnen, ohne harsche Fakten wie den zunehmenden Leerstand in Fußgängerzone oder Europagalerie oder die sich häufenden Geschäftsaufgaben im Stadtgebiet an sich heranlassen zu müssen. Dieser Mann scheint zu glauben, durch Erweiterung der Flaniermeile kaufen die Leute mehr ein. Logisch, wir brauchen nicht mehr Geld, nur mehr Platz!

Zum Jahresbeginn gab unser Oberbürgermeister (bitte nicht zu verwechseln mit „Stadtführer“) bekannt, Saarbrücken werde in den nächsten Jahren „an vielen Stellen sein Gesicht verändern“. Kein Mafiapate hätte schöner formulieren können, dass die Stadt zunächst um seine letzten paar Kröten erleichtert wird und anschließend ihre Visage mit stumpfen Bauwerkzeugen „umgestaltet“ bekommt.

Conradt sieht seinen Ehrgeiz längst nicht mehr damit befriedigt, seiner Fraktion zu sagen, wann sie den Arm heben muss. Mittlerweile von jeglichem Ballast befreit – von der Koalition, von einer Fraktion, die noch hinter ihm steht und von jeglichem Realitätssinn – entwickelt er zunehmend kindliche Freude daran, die Exekutivbefugnisse auszureizen, die ihm ab 2020 in den Schoß fielen. Die politischen Restrukturierungen im Zuge der Coronakrise machten´s möglich, und praktischerweise „vergaßen“ Bund und Land weitgehend, sie zurückzunehmen. Zur Not fängt man schon einmal an zu bauen und holt sich die „Genehmigung“ nachträglich, wenn der Rat vor vollendeten Tatsachen steht. „Sein“ Büro in „seinem“ Rathaus ist der Nabel seiner kleinen Welt und sein Horizont reicht ziemlich genau bis zu den Grenzen der Innenstadt – konsequenterweise „sein“ Vorgarten. Für Ecken wie Burbach oder St. Arnual hat er sich noch nie interessiert, Viertel wie Malstatt oder Alt – Saarbrücken sind für ihn anarchistische Kampfzonen. Die im Vergleich zu Städten wie Wiesbaden oder München charmant – chaotische Lebensart der Saarbrücker ist ihm ein Gräuel. Auf dem Kreuzzug gegen die entartete Stadt entsendet der OB leidenschaftlich gerne das Ordnungsamt, die er als seine persönliche, auf ihn vereidigte Vasallengarde betrachtet. Ihre Aufgabe besteht schon längst nicht mehr nur darin, Knöllchen zu verteilen, sondern in den letzten Jahren auch verstärkt, Obdachlose aus Sichtweite ihres Herrn und Meisters zu verjagen. In den Gassen ums Rathaus herum terrorisieren sie dann die in den letzten Jahren ohnehin schon gebeutelten Gastronomen mit Vorhaltungen, ihre Außenbestuhlung würde das Stadtbild stören – auch in Kneipen, deren Bierbänke die einzige gestalterische Konstante der letzten 30 Jahre darstellen. Und aufgrund eines kuriosen Zufalls sind von den Schikanen meistens solche Geschäfte betroffen, auf die kapitalstarke Investoren aus Conradts Umfeld ein Auge geworfen haben. Aber die Außeneinrichtung auf dem St. Johanner Markt ist bereits vor Jahren per Satzung vorgeschrieben worden; warum machen wir das nicht mit der ganzen Stadt? Stromlinienförmig, vermarktbar, diszipliniert und konform, so wollen wir das haben. Wenn es nach unserem OB geht, hat die Stadt vorrangig die Aufgabe, zahlungskräftiger Klientel etwas fürs Auge zu bieten, also haben die Cafétische optisch angepasst in Reih und Glied zu stehen wie die Luftlandepionierkompanie 260 nachdem ein Unternehmensberater da war. Uwe Conradts Vorstellung von einem lebenswerten Saarbrücken ist schlicht ein riesiges Einkaufszentrum – nicht dafür gedacht, dass Individuen darin leben können, sondern nur für Profit. Schöne neue Welt.

Der Verkehrswendler

Erstmals in der kurzen Historie saarländischer Klimaproteste haben Aktivisten die Sperrung einer Autobahn angekündigt: am Wochenende soll die A620 lahmgelegt werden. Prompt sind die Stammtischbrüder und Leserbriefschreiber völlig aus dem Häuschen. Der De-facto-Vorsitzende der Anonymen Autofans im Saarland, Oliver Luksic, rührt in der Saarbrücker Zeitung die Blechtrommel – völlig bar jeder Gegendarstellung von Oppositionsseite. „Unverhältnismäßige Störung“, keine akzeptable Protestform“ - der Staatssekretär des Verkehrsministeriums spielt sich nicht nur zur Autorität im Bereich Demonstrationsrecht auf, er legt seit Beginn der Legislatur selbst ziemlich gewagte Wendemanöver hin. Kostprobe gefällig? „Im Haushaltsentwurf von Minister Scheuer werden die Fehler und Probleme der GroKo-Jahre sichtbar. Schiene und digitale Infrastruktur wurden zu lange vernachlässigt, bei Projekten auf dem Land und im Wasser kommt die Umsetzung nicht voran.“ (businessinsider.de, 12. September 2019)

Von der anderen Seite des Schreibtisches sieht die Welt wie so oft völlig anders aus: „In der öffentlichen Diskussion wird oftmals ignoriert, dass wir schlicht nicht endlos Verkehre auf die Schiene verlagern können.“ (regionalheute.de, 06. April 2023). Oder wahlweise: „Der öffentliche Personennahverkehr sei Länder- und Kommunalsache, sagte Oliver Luksic, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, dem SR. Der Bund könne nicht jeden Bus in jedem Ort in Deutschland bezahlen. Schuld an der hohen Unzufriedenheit im Saarland sei das Land.“ (sr.de, 12.09.2022). Naturgemäß ist das Gras auf der anderen Seite der Leitplanke immer grüner, aber diese Mischung aus Vergesslichkeit und Zynismus erreicht Scholzsche Dimensionen. Das Verkehrsministerium unter Leitung von Volker Wissing setzt ebenso konsequent wie unter den desaströsen CSU-Vorgängern auf Teer statt Schiene, hat das 9-Euro-Ticket völlig torpediert und mit der Ankündigung des Deutschlandtaktes für 2070 das gesamte Konzept Verkehrswende der Lächerlichkeit preisgegeben.

Als Erbe der beiden Titanen des Schwachsinns – Alexander Dobrindt, der kraft seiner Altersparanoia von einer „Klima-RAF“ schwafelt, und Andreas Scheuer, der eine halbe Milliarde in einem Mautprojekt versenkte, zu dem es niemals kommen wird – führt Wissing eine stolze Tradition fort. Alleine diese drei Minister stemmen sich seit zehn Jahren gegen jede noch so zaghafte Veränderung mit einer Aussitzblockade, die auch den entschlossensten Klimaaktivisten wahrlich bescheiden aussehen lässt. Jenen ruft Luksic vom Berge Berlin aus zu: Wenn ein Krankenwagen stecken bliebe „wäre dies katastrophal“. Dieses Argument wird auch unter Aktivisten durchaus kontrovers diskutiert, öffentlich vorgebracht wird es allerdings meistens von Leuten, die auch gerne mal die Rettungszufahrt blockieren, wenn sie keinen Parkplatz finden. Da ist man ja froh, dass die bundesweit 1.400 Verkehrsstaus täglich wegen überfüllter Straßen für den Notarzt kein Hindernis darstellen.

Aber das ist noch nicht das Ende dessen, was unser Verkehrswendler für eine Argumentation hält. „Eine unnötige Schikane von Autofahrern und Verkehrschaos in der City helfen dem Klima nicht.“ Mag sein, Herr Staatssekretär, Sie aber auch nicht. Bei ihrem Versuch, völligen Stillstand als Verkehrswende zu verkaufen, wirken Sie eher wie ein Asphaltrambo, der mit qualmenden Pneus seine Drifts über den Parkplatz zieht – viel Lärm, viel Show, viel Effekthascherei – null Fortbewegung.

Wer wissen möchte, was uns bald blühen kann, wenn wir so weitermachen, dem sei ein kurzer Blick über die Grenze ans Herz gelegt: in Frankreich wird mittlerweile öffentlich über Maßnahmen zur Wasserrationierung nachgedacht; vor allem die Landwirtschaft steckt bis zum Hals in Schwierigkeiten. Wenn wir in die gleiche Situation kommen, werden uns Beschwerden über angebliche „Bevormundung“ oder „Umerziehung“ verdammt wenig weiterhelfen. Aber das ist in der Tat schwer vorherzusehen; es könnte genauso gut sein, dass wir uns stattdessen mit Überschwemmungen und Erdrutschen herumschlagen müssen. Aber wenn die Stadtautobahn nicht drei Stunden lang von Aktivisten, sondern drei Wochen lang von der über die Ufer getretenen Saar blockiert wird, wird es keinen Aufschrei geben, oder? Hauptsache, keine „unverhältnismäßige Störung".

Unter Strom Gas geben

Zum Begriff Gas hat der Deutsche als solcher schon seit langem ein recht, nun ja, schwieriges Verhältnis, vor allem in Zeiten von Meinungsverschiedenheiten mit Russland. Dass Wirtschaftsminister Habeck – den man mit Fug und Recht als den ökonomisch bewandertsten Kinderbuchautoren des gesamten Kabinetts bezeichnen darf – im vergangenen Herbst die nationale Heizstrategie im Gashungerstreik auf der Hoffnung aufbaute, der Winter würde schon nicht so kalt werden, schnappten die letzten verbliebenen Kriegskinder entsetzt nach Luft. Aber diesmal war der Winter recht gnädig und die Energiepreise am Weltmarkt liegen inzwischen sogar unter dem Niveau von vor dem Krieg, was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass die nimmersatten Energiekonzerne ihre Griffel bis zu den Ellbogen in unseren Taschen haben.

Aber Überlegungen hinsichtlich Finanzierbarkeit und sozialem Ausgleich haben in Habecks

Universum noch nie eine nennenswerte Rolle gespielt; für ihn als grünen Ritter in strahlender Rüstung zählen die Missionen Klima und Ukraine. In beiden Komplexen ist er moralisch grundsätzlich im Recht und folglich von Hause aus mit Doppelmoral bewaffnet.

Im Kampf gegen das klimaschädliche und kriegstreiberische Gas hat der Wirtschaftsminister die Wärmepumpe für sich entdeckt. Der im Koalitionsvertrag für 2025 angepeilte Startschuss für den Ausstieg aus der fossilen Heizung wird kurzerhand um ein Jahr vorverlegt – unter völliger Missachtung der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft weder über die Handwerker für den massenhaften Pumpeneinbau noch für die notwendige energetische Wärmedämmung verfügt, die diese Technik überhaupt erst ermöglichen würde, ohne die Stromkosten ins Unermessliche zu jagen. Wagen wir einen kleinen Ausblick in die Zukunft: Aufgrund des vorgegebenen 30 – Jahre – Plans für Öl- und Gasanlagen wird ab dem Jahr 2026 für rund eine Million Heizungen jährlich die Betriebserlaubnis erlöschen. Dort wo kein Fernwärmenetz verfügbar ist – also bei den meisten Gebäuden – wird an der Wärmepumpe dann kein Weg vorbeiführen. Allerdings gibt es einen Haken: selbst optimistische Branchenkenner halten es für ausgeschlossen, mehr als 500.000 jährlich davon zu installieren, im vergangenen Jahr war es weniger als die Hälfte. Um diesem Problem entgegenzuwirken, verfiel Robert der Weitblickende auf die, nun ja, originelle Idee, dass man sich – sollte das mit der Wärmepumpe nicht pünktlich klappen – für drei Jahre noch einmal eine Gasheizung einbauen darf. Sie haben richtig gelesen: in Habecks Welt ist das genauso simpel, wie eine Benzinpumpe im Motor zu wechseln. Indem man Handwerker mit solch absurden Verordnungen beschäftigt hält, wird man eines ganz sicher nicht erreichen: das Wohnungsbaudefizit zu bekämpfen, das sich mittlerweile auf rund eine dreiviertel Million summiert. Das Bundesbauministerin Geywitz das angestrebte Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen um Meilen verfehlt hat, bedarf an der Stelle wohl keiner gesonderten Erwähnung. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Unkosten für Wärmedämmung und neue Anlagen – die in absehbarer Zeit unter Garantie genauso wenig sinken werden wie die Wartezeiten auf Installateure – sich pro Gebäude um einen sechsstelligen Beitrag steigern werden, was ohnehin schon geplünderten Mietern und Eigenheimbesitzern das Leben endgültig sauer machen dürfte. Und was die versprochenen Fördertöpfe angeht: im April vorigen Jahres waren die KfW – Fördermittel für energetisches Bauen schon nach ein paar Stunden ausgeschöpft. Kein Wunder übrigens bei einer schlappen Milliarde. Ebenso gut könnten Sie am Ende des Regenbogens nach Fördertöpfen suchen.

Aber es ist schließlich für eine gute Sache, immerhin geht es um die Rettung des Klimas, oder? Tja, das hängt davon, wo der Strom herkommt, der die Wärmepumpen betreibt, und das ist seit dem Atomausstieg in erster Linie Kohlestrom. Falls Sie sich also fragen sollten, wo in diesem Land die ganze Kohle hin ist: Stromkonzerne sind ein sicherer Tipp.

Dolchstoßlegende

Als mit dem Kollaps der Sowjetunion Anfang der Neunziger das angebliche „Ende der Geschichte“ eingeläutet wurde, konnte man später erleichtert aufatmen, dass das bloß hohles Geschwätz war. Immerhin standen wir im Laufe des Kalten Krieges mehrmals kurz davor, der Geschichte wirklich ein Ende zu machen. Aber der Erzfeind hatte sich ganz von alleine aufgelöst, und Vokabeln wie „Abrüstung“ oder „Friedensdividende“ jagten Vorstandschefs bei Krauss-Maffei oder Heckler & Koch grausige Schauer über den Rücken. Plötzlich wollten Regierungen in aller Welt mit dem ganzen schönen Geld Schulen bauen, Straßen sanieren oder ähnlichen Hippie – Quatsch. Aber die Rettung nahte: Mit dem Kosovokrieg Ende der Neunziger und dem Einsatz in Afghanistan ist es wieder Sitte geworden, deutsche Soldaten in alle Welt zu entsenden; sogar weiter als ihre Großväter es geschafft haben. Und mit den Einsätzen zeigten sich naturgemäß die Probleme: miese Beschaffungspolitik, miese Logistik, miese Einsatzfähigkeit. Hinzu kamen die hochinteressanten Details um Flinten-Uschis Beraterverträge, die nach den HS-30- und Starfighter - Skandalen allerdings auch eine stolze Tradition fortführten.

Aber wie kann es sein, dass die Bundeswehr nach knapp 25 Jahren im aktiven Einsatz immer noch in solch einer Verfassung ist? Tja, nach der Auffassung von Verteidigungsminister Pistorius, seinen diversen Vorgängerinnen, Friedrich Merz, der gesamten Welt – Redaktion und sonstigen selbsternannten Experten ist der Etat einfach zu niedrig. Der Tenor ist einhellig, die Finanzspritze Kaliber 100 Milliarden zugesichert und der Überbietungswettbewerb kennt keine Grenzen. Eva Högl schoß sich im Überschwang, an Christine Lambrechts noch warmen Stuhl heranzukommen, mit der Forderung nach einer Verdreifachung(!) selbst ins Aus. Nach Jahren in der schwarzen Null zaubert Hexenmeister Lindner plötzlich Summen aus dem Hut, bei denen man sich nach der Bankenrettung zurücksehnt. Du lieber Himmel, wie konnte uns all die Jahre entgehen, dass die Bundeswehr finanziell irgendwo zwischen dem Entwicklungshilfeministerium und dem Deutschen Wetterdienst rangiert?

Ganz einfach: Dem war nie so. Bereits seit Jahrzehnten rangiert die Bundeswehr stets in den weltweiten Top Ten der höchstfinanzierten Streitkräfte. Deutschland gibt – nicht erst seit letztem Jahr – sehr viel mehr Geld für die Truppe als Länder, in denen tatsächlich Krieg herrscht, wie z.B. Israel oder Syrien. Der 100 – Milliarden – Wumms hingegen liegt – inflationsbereinigt und ohne den üblichen Jahresetat mitzuzählen – höher als das Gesamtbudget der Wehrmacht 1939. Unschöne Relation.

Der Verdacht ist naheliegend, dass die Bundeswehr entweder Jahr für Jahr Milliarden in ineffizienten Bürokratiesümpfen versenkt oder sich von der Rüstungsindustrie zweitklassige Ware zu überhöhten Preisen andrehen lässt – am wahrscheinlichsten ist eine Kombination aus beidem. Und die Rüstungskonzerne sind auch die Einzigen, die von dieser momentanen Hochrüstungsorgie profitieren. Die Defizite beim Bund, die auch immer wieder in der Presse beklagt werden, sind handelsübliche Nachschubprobleme – Ersatzteile, Verbrauchsmaterial, Munition. Aber die Gewinnspanne solcher Artikel ist natürlich ebenso überschaubar wie ihr Prestige. Allerdings wird der modernste Panzer der Welt nicht viel nützen, wenn der Tanklaster wegen einer kaputten Zylinderkopfdichtung nicht auftaucht. Ich persönlich habe auch noch nie einen Soldaten getroffen, der der Auffassung war, die Bundeswehr müsse ganz dringend zehn Milliarden für F-35-Jets auf den Kopf hauen, um die Atomwaffen der Amerikaner gen Osten bringen zu können. (Die Schweiz bekam dieses Modell übrigens für einen deutlich geringeren Stückpreis, siehe oben.)

Die Unsummen, die jetzt plötzlich der Waffenindustrie zur Verfügung gestellt werden, sind Drohung und Versprechen zugleich, und selbstverständlich wecken sie nicht eben wenige Begehrlichkeiten. Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses können sich momentan vor Lobbyisten nicht retten; Frau Strack-Zimmermann wohnt praktisch Tür an Tür mit ihnen. Jedenfalls sitzt Rheinmetall in ihrem Wahlkreis; Zufälle gibt’s. Und die sorgen dafür, dass die Geldmittel verlässlich weiter fließen, ohne dass Sinn und Zweck dieser Einkaufsorgie hinterfragt werden. Angesichts des enorm angeschwollenen Etats erfüllen sich die jahrelangen Vorhaltungen scheinbar selbst: die chronisch kaputtgesparte Bundeswehr. Die Dolchstoßlegende der Waffenlobby.

Wer die Zeche zahlt

StadtLandPlus KW 08-2023

SPD und FDP haben zusammen 16 Jahre lang von der Besten gelernt; sie sind muttierfahren und merkelgestählt. Gefangen im Ödipuskomplex, spielen sie auch nach ihrer Abwahl (oder Abdankung?) eines von Muttis Lieblingsspielen: auf Bundesebene Rechtsansprüche schaffen und dann die Länder und Kommunen dafür blechen lassen. So war es bei der Durchsetzung des Kitaplatz-Anspruchs 2013, bei der Flüchtlingsunterbringung oder auch bei der famosen Bildungsoffensive – im Prinzip alles notwendige Entscheidungen, aber Berlin dachte nicht im Traum daran, das erforderliche Geld rauszurücken. Ist auch eine Art von Schattenhaushalt. Am einfachsten bleibt man in der schwarzen Null, indem man den Bock unter Umgehung des Gärtners direkt zum Umweltverträglichkeitssachverständigen macht.

Da die Kommunen ja offenbar – zumindest muss es von Berlin aus so aussehen – Schröders Gewerbesteuerfrontalangriff und die Länder Merkels offensive Asyl-Gesundheit-Bildung-Familie-Kombination heil überstanden haben, ist es jetzt an der Ampel, die Schmerztoleranz des Förderalsystems zu testen.

Eingedenk des spektakulären Erfolges mit den Kitaplätzen kommt ab 2026 der Anspruch auf Ganztagsbetreuung für Erstklässler (wird von dort aus jährlich auf die nächste Klassenstufe erweitert) und schließt damit endlich eine Lücke von rund zehn Jahren, in der der Nachwuchs nach drei Jahren Ganztagskita nachmittags wieder nach Hause musste. Auf die Frage, woher Platz, Personal, Ausstattung oder Logistik herkommen sollen, ertönt vom Kanzleramt wie üblich ohrenbetäubendes Schweigen. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn von Gesamtaufwendungen von rund 100 Millionen (konservativ geschätzt) alleine nur für Bau- und Renovierungsmaßnahmen der Bund ein Drittel lockermacht – vorausgesetzt, Land und Kommunen packen noch einmal zehn Millionen drauf. (Ist übrigens ein beliebter Trick.) Von den zehn Millionen übernimmt das Land zwei Drittel und die Kommunen bleiben schlussendlich auf dreieinhalb Millionen sitzen, die der Bund ihnen abpresst, plus 50-70 Millionen um zu leisten, was von ihnen gefordert wird. Sollen wir vielleicht einen Hut herumgehen lassen? Schau an, zwei Euro und ein Knopf.

Der zweite Teil des Doppelwumms ist Volker Wissings Karnevalsüberraschung: Vereinbart war eine gleichmäßige Aufteilung der Kosten fürs heiß ersehnte 49-€-Ticket zwischen Bund und Ländern. Stimmt? Stimmt. Jedenfalls bis Ende 2025, dann läuft die Unterstützung des Bundes aus. Aber sollte Fürst Volker pünktlich nach der Wahl den Posten ein zweites Mal kriegen, ist er vielleicht gnädig mit seinen Untertanen und verlängert die Almosen. Wobei jetzt schon klar ist: der Preis von 49 € - wenn das nebulöse Ticket denn einmal kommt – hält den Preis maximal die ersten sechs Monate als Schnupperangebot.

Da johlt das Volk, es tobt der Saal und will das Ganze noch einmal! Zumindest solange, bis man mit der Zeche am Tresen zurückgelassen wird, weil der Geck, der eine Runde nach der anderen geordert hat, sich inzwischen in Berlin in der schwarzen Null aalt...

„Kluge Narren reden besser."

Sonderbeitrag Rathaussturm

So schrieb es dereinst Nietzsche, aber die Hoffnung auf einen dauerhaften Regierungswechsel im Rathaus wurde am heutigen Samstag leider enttäuscht. Aber derzeit ist man um jede Abwechslung froh; sogar das lokale Druckerzeugnis beteiligt sich am närrischen Treiben: „Verlottert die Kleidung in der Politik?“ fragt die letzte Seite nur einen Tag, bevor sich Uwe Conradt in einem Aufzug vor die Rathaustür stellt, der sogar Selenskyjs Kampfpyjama und Scharpings Radlerkluft in den Schatten stellt (wobei man zugeben muss, dass Barbara Meyer in der weiblichen Hauptrolle als Stadtsparschwein harte Konkurrenz ist).

Und da ein Unglück bekanntlich selten alleine kommt, hat sich zu allem Überfluss der Bundesuhu und seines Zeichens erste Jeck des Staates Steinmeier für drei Tage Katastrophentourismus in Völklingen angedroht. Aber es wird schon gutgehen; wenn man einen Anteil des fetten Erbes in Aussicht hat, erträgt man in der Regel auch ein paar Tage die schnöselige Verwandtschaft.

  • Es braust ein Ruf wie Donnerhall
  • Durch die Weltstadt des Altmetalls!
  • Klirren Scheiben? Brennt der Benz?
  • Nein, das Volk ersucht um Audienz!
  •  
  • Bislang in gnäd´ger Ruhe verblieben.
  • Die Nation war krankgeschrieben.
  • Doch jede Schonzeit hat ein End´
  • Und selbst der Deutsch´mal ausgepennt.
  •  
  • Des Prinzen Gewand überstreif´
  • Sprich: ein Tyrann in Warteschleif´
  • Hör von drunten, laut wie nie
  • Die Untertan´vor der Bastille.
  •  
  • „Oh Graus! Der Mob, der mich gewählt!
  • Vielleicht sogar auf mich gezählt!
  • Freibier! Chaos! Anarchie!
  • Herrgott, fehlt mir die Pandemie!“
  •  
  • Macht sich auf, die Still´zu brechen
  • Zur frühgeschoppten Masse sprechen.
  • Da empfängt dich - welch ein Nepp!
  • Das Sparschwein auf der Rathaustrepp´.
  •  
  • Respekt! Man hört kein´Klagenslaut
  • Stehst da wie Bräutigam nebst Braut
  • Mit einem unbekannten Tier
  • Herr OB, ich kondolier´!

Ein Platz an der Sonde

StadLandPlus KW 06-2023

Die Indizien dafür, dass es mit diesem Land infrastrukturell zunehmend abwärts geht, mehren sich in unschöner Häufigkeit. Aber als Souverän bietet sich Ihnen hier die Gelegenheit, die Privatisierungs- und Kostendruckorgien, die im fernen Berlin hinter verschlossenen Türen verhandelt werden, hautnah mitzuerleben. Falls Sie beispielsweise am Sonntagabend von den stromausfallbedingten Unregelmäßigkeiten im Bahntakt um Völklingen betroffen gewesen sein sollten: nun ja, gewöhnen Sie sich daran. Die Bahn versucht im Augenblick gerade, die Bundesregierung dazu zu bringen, das kaputtgesparte Netz mit Steuergeld wieder aufzupäppeln. Zur Beförderung des „Wettbewerbs“ sollen sich anschließend Privatunternehmen die Rosinenstrecken rauspicken dürfen, die fette Gewinne einbringen. Die Regionalverbindung Saarbrücken – Saarlouis dürfte eher nicht dazugehören. Für solche Strecken gibt es dann zwei Möglichkeiten: entweder sie werden solange vernachlässigt, bis das Netz ohne einen dreistelligen Milliardenaufwand überhaupt nicht mehr flottzukriegen ist (Ade, Verkehrswende!) oder die Preise für das großspurig beworbene 49 - € - Ticket werden in einem Maße steigen, das es für den Großteil der Bevölkerung endgültig unbezahlbar macht. Dann bleibt nur zu hoffen, dass Sie es dort mögen, wo Sie wohnen.

Auch den Kliniken scheint das Wasser permanent bis zum Hals zu stehen. Das Gesundheitsministerium bringt irgendwie das Kunststück zustande, mit immer neuen, immer unüberschaubareren Reformen immer mehr Geld in immer weniger Krankenhäuser zu pumpen. Das Personal geht ohnehin seit Jahren permanent auf dem Zahnfleisch und die augenblicklichen Ideen, den Lehrermangel zu bekämpfen (Teilzeit abschaffen, Lehrer aus der Pension zurückholen etc.) lässt für die Pflegekräfte Düsteres ahnen. Als Quittung für den jahrzehntelangen Investitionsstau und die Kostendrückerei, die ihren Anfang nahmen, als es plötzlich wichtiger wurde Gewinn aus den Häusern zu pressen als die Patienten zu kurieren, sieht sich die öffentliche Hand plötzlich gigantischen Forderungen gegenüber, um zu verhindern dass es in Deutschland in zehn Jahren aussieht wie 2020 in Italien. Und zwar gänzlich ohne Pandemie.

Stichwort Pandemie: Es ist unvernünftig, davon auszugehen, dass vergleichbare Situationen nicht wieder auftauchen werden. Und obwohl wir seit drei Jahren unübersehbar vor den Ruinen einer einst auf Weltniveau befindlichen Gesundheitsversorgung stehen, wird nicht einmal der kleinste Gedanke daran verschwendet, wie man den Teufelskreis wieder zurückdrehen könnte.

Mit Blick auf die übriggebliebenen saarländischen Kliniken – z.B. den Winterberg - scheint sogar eine energetische Sanierung inzwischen eine kaum noch stemmbare finanzielle Hürde zu sein, was die tagtäglichen Arien von der grünen neuen Welt als die warme Luft enttarnt, die sie sind. Bei den explodierten Baukosten kein Wunder; da überrascht es auch nicht dass der soziale Wohnungsbau immer weiter hinter die versprochenen Margen zurückfällt, und noch weiter hinter den tatsächlichen Bedarf. Aus dieser Sackgasse ist innerhalb des strikt auf Gewinnoptimierung gepeitschten Systems kein Entkommen. Oder glauben Sie tatsächlich, mit einem der schneller rotierenden Hoffnungsträger Saarmesse, S-Volt oder Wolfspeed käme die Nachfolge florierender Montanjahre? Wir bräuchten jede diese Firmen fünfmal, alleine um den Verlust von Ford zu kompensieren; von Saarstahl, Halberg-Guss und einer Reihe weiterer Firmen ganz zu schweigen. Wolfspeed hat weltweit nicht annähernd die Zahl an Mitarbeitern, die ZF möglicherweise an die Luft setzt und S-Volt hat sich seit seiner Gründung unter anderem durch niedrige Personalkosten am Markt gehalten. Dass es dort von hochbezahlten Facharbeitern wimmeln wird, erscheint fraglich. Und wenn die Firma nicht mit Billiglöhnern geködert wurde, dann mit exorbitanten Subventionen.

 

Zahlen müssen wir so oder so.

 

Abstoßen, ausstoßen, gesundstoßen

StadtLandPlus KW 05-2023

Gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Das war in harten Zeiten schon immer eine sinnvolle Überlebensstrategie, aber ebenso gab es natürlich auch immer konsequente Realitätsverweigerer. Getreu Oscar Wildes Zitat „Man versehe mich mit Luxus! Auf alles Notwendige kann ich verzichten!“ ist die grüne Fraktion im Stadtrat problemlos imstande, die Quadratur des Tellers zu fordern in Form der magischen Dualität in der Schulkantine: Bio und bezahlbar. Dass man angesichts der derzeitigen Inflationsrate ebenso gut einen kostenlosen Elektro – SUV – Shuttleservice für die Wonneproppen fordern könnte, stört dabei nicht im geringsten, ist „bezahlbar“ doch ein relativer Begriff. Allerdings ist eine „Standard“mahlzeit, so abstoßend der urbane Feelgood – Grüne sie auch finden mag, immer noch besser als gar nichts im Magen. Und genau das würde der Hälfte der Kinder blühen, wenn man versucht die Ansprüche ohne Rücksicht auf Verluste aufrechtzuerhalten. Aber hier wird uns auch das soziale Dilemma vieler Grüner vor Augen geführt: für das Otto - Normalfutter zu egozentrisch, für die Privatschule zu arm.

Nicht wenige Menschen in diesem Land würden sich über derartige Probleme freuen. Die Vorsitzende der Frauen – Union im Saarland, Frau Wagner – Scheid, fordert in einem Gastbeitrag in der Saarbrücker Zeitung das Verbot von Prostitution. Der Vorschlag zielt auf die Bestrafung der Freier und Straffreiheit für die Frauen; das ist zweifellos gut gemeint. Nur leider kann man Prostitution nicht abschaffen, nur in die Illegalität zwingen. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind schon längst verboten, die Staatsanwaltschaft kann aber nur tätig werden, wenn man an die Sexarbeiterinnen irgendwie heran kommt. Gleiches gilt für Sozialarbeiter und Therapeuten. Deswegen ist es auch widersinnig zu fordern, das Bordsteingewerbe müsste „wirtschaftlich unattraktiv werden.“ Wenn die Finanzbasis nicht stimmt, wird der Druck ans Personal weitergegeben. Und genau aus diesem Grund bestünde das einzige, was gegen kriminelle Zuhälterei helfen würde darin, die Behörden finanziell und personell in die Lage zu versetzen, wirklich tätig zu werden.

Eine Institution, bei der man gerade das eigentlich als gegeben voraussetzen könnte, hat sich allerdings entschieden, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das Bistum Trier hat den Kommunen in seinem Machtbereich – vereinfacht gesagt – das Kruzifix auf die Brust gesetzt: entweder ihr finanziert die Sanierung von rund 100 Kitas mit 30 Millionen zusätzlich oder ihr wir trennen uns von den Einrichtungen und der gesamte Betrieb hängt an euch. Jetzt kann man nicht gerade behaupten, dass sich die Kommunen im Geld wälzen; das Bistum hingegen wies Ende 2018 eine Bilanzsumme von über 1,1 Milliarden € aus und in den momentanen Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Kirchen glänzt man auch nicht gerade mit Bescheidenheit. Der Bund will die alljährlichen Staatsleistungen an die Kirchen – derzeit rund 600 Millionen – vom Hals bekommen und sieht sich einer Ablöseforderung von 11 Milliarden gegenüber. In Anbetracht dessen, dass die jährlichen Zahlungen als Entschädigung für Abtretungen zurzeit von Napoleon vereinbart wurden, sollte es allmählich mal gut sein. Abgesehen davon fließen pro Jahr immer noch rund 13 Milliarden Kirchensteuer; Caritas und Diakonie werden fast komplett vom Staat finanziert. Es spricht also einiges dafür, dass Vater Staat sich endlich von Mutter Kirche trennt und das Sorgerecht selbst übernimmt; er muss sich nicht gesundstoßen, sondern einfach nur seine Arbeit machen.

Alles hat seinen Preis

StadtLandPlus KW 04-2023

10,5% mehr für jeden, aber mindestens 500 € monatlich – die Forderungen des Deutschen Beamtenbundes haben es ganz schön in sich und die Finanzierung wird nicht einfach. Schon gar nicht im westlichsten Bundesland mit der östlichsten Finanzlage. Im Falle Saarbrückens könnte man mit Fug und Recht von einem mittelschweren zweistelligen Millionenbetrag ausgehen, falls diese Forderungen tatsächlich so umgesetzt werden sollten. Aber keine Sorge, werden sie natürlich nicht. Jeder erfahrene Gewerkschafter wird Ihnen bestätigen können: wer fünf Prozent erreichen will, muss zehn fordern. Und im Haushalt für das laufende Jahr ist bereits eine Erhöhung für die tariflich Beschäftigten in vergleichbarer Höhe eingepreist, und die reicht – in diesem Punkt müssen wir ehrlich sein - nicht einmal für die Inflation. Also seien Sie unbesorgt, die Stadt wird es überstehen. Dies könnte die letzte Gelegenheit sein, unsere Innenstadt zu reanimieren, die inzwischen größere Lücken aufweist als nach dem Zweiten Weltkrieg. Vorausgesetzt, die Beschäftigten sind loyal genug, den neu erworbenen Reichtum nicht bei Amazon auf den Kopf zu hauen. Aber es gibt wohl keine andere Chance; außerhalb des öffentlichen Dienstes scheint in der Stadt kaum noch jemand Geld zu verdienen.

Anderswo sieht es jedenfalls finster aus. Die Bertelsmann – Stiftung hat letzte Woche eine Studie veröffentlicht, laut der knapp 33.000 Kinder im Saarland armutsgefährdet sind, das sind mehr als 20%. Angesichts der momentanen Inflation und der steten Deindustrialisierung des Landes ist in nächsten Jahren wohl kaum mit einer Veränderung zu rechnen, zumindest nicht in die Richtung die wir wollen.

Um hilflose Symbolpolitik hingegen ist man selten verlegen. So kündigte Oberbürgermeister Conradt jüngst eine Städtepartnerschaft mit einer noch nicht näher spezifizierten ukrainischen Stadt an, was dieser mittels noch nicht spezifizierter Finanzierung auf noch nicht spezifizierte Art und Weise helfen soll. Der in diesem Aufwasch zum außenpolitischen Experten der Stadt avancierte OB ließ in diesem Zusammenhang wissen: Frieden könne es nur geben, wenn sich Russland aus allen besetzten Gebieten zurückziehe. Nun, Herr Conradt, bei aller verständlichen Abneigung Putin gegenüber: auch an der Krim hängt ein Preisschild. Auf diesem Preisschild könnte im schlimmsten Fall „Atomkrieg“ stehen. Denken Sie mal in einer stillen Stunde darüber nach, ob sie mit diesem Einsatz spielen wollen.

Außerdem halten keineswegs alle die Ukraine für das Bollwerk der Demokratie, als das es gerade dargestellt wird. Nicht unverständlich angesichts der Tatsache, dass es im Korruptionswahrnehmungsindex zwischen Eswatini (Swasiland) und Niger angesiedelt ist. In dieses Horn trötet sogar Hans-Georg Maaßen, bei dem es bekanntlich etwas länger dauern kann, bis er verfassungswidrige Umtriebe überhaupt bemerkt. Vermutlich versucht der Kanzler der Herzlosen, Friedrich Merz, ihn aufgrund seines akuten Anfalls von Kriegsdienstverweigerung loszuwerden. Ansonsten sollte man schließlich meinen, „kleine Paschas“ Merz und „eliminatorische[r] Rassismus gegen Weiße“ Maaßen könnten doch Freunde sein. Aber heute ist nicht alle Tage, Maaßen kommt wieder, keine Frage. Sein Vorgänger auf dem Chefsessel der „Werteunion“, Matthias Otte, ist bereits in Richtung AfD gewechselt. Und wer sich am Samstag ihre Kundgebung vor dem Landtag (oder irgendeine andere Aktion/Rede/Twitternachricht) von denen reingezogen hat, weiß: unser Ex – Verfassungsschützer wäre zwischen diesen Quartalsirren gar nicht groß aufgefallen.

Parallelrealitäten

StadtLandPlus KW 03/23

40 ist das neue 30! Dieser Auffassung ist zumindest die Fraktion unseres 45-jährigen Oberbürgermeisters und hat einen Antrag für eine Tempo-40-Zone eingereicht, die zwischen Eschberg und Ostbahnhof in die Testphase gehen soll. Da dort im Laufe des Jahres allerdings ohnehin die Fahrbahn frischgemacht wird, dürfte der erste Probelauf unter Realbedingungen noch etwas auf sich warten lassen. Ist vielleicht auch besser so, haben wir es hier doch mit der Sorte von Kompromiss zu tun, die geringstmöglichen Nutzen und größtmögliches Wutbürgerpotential in Harmonie vereint. Der im Antrag enthaltene Hinweis der CDU, die Tempo-40-Zonen seien bereits in anderen Städten „erfolgreich“ erprobt worden, stimmt zwar. Jedoch tun sich hier zwei Fragen auf. Zum einen: Wie bemisst man den Erfolg der Einrichtung einer geschwindigkeitsregulierten Verkehrszone? Dass die Schilder noch hängen? Keineswegs; Frankfurt am Main zum Beispiel beruft sich auf gesunkene Stickoxidmesswerte als Resultat. Allerdings traten die Bremsmaßnahmen im dortigen Stadtkern Anfang 2021 in Kraft, als wegen der Coronapandemie das Verkehrsaufkommen ohnehin stark gesunken war, daher sind diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Das führt uns direkt zum zweiten Punkt: dass die Mainmetropole (und auch Wuppertal) Tempo 40 nach Verhandlungen mit der Deutschen Umwelthilfe einführten, um drohende Dieselverbotsklagen zu verhindern. Vergleicht man diesen Unfug mit den immer lauter werdenden Forderungen nach ernstgemeinten Maßnahmen wie flächendeckend Tempo 30 innerorts, der Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets oder quersubventionierte Regionalbahnkonzepten fängt man doch allmählich an, an die Existenz von Parallelrealitäten zu glauben, oder?

Noch nicht überzeugt? Kein Problem, führen Sie sich doch einfach den kleinen Schwank zu Gemüte, den sich die Saarbrücker Zeitung (Online-Ausgabe) am Dienstag erlaubte. Am selben Tag tauchten auf der Internetseite Schlagzeilen aus zwei völlig unterschiedlichen Welten auf: „Ford-Betriebsrat: Keine Zusage von Investor für Standort“ und über einem Interview mit Arbeits – Chefagentin Andrea Nahles: „Die Unternehmen entlassen heute nicht mehr“. Interessanterweise bekam die abgedruckte Version des Interviews ein anderes Zitat als Überschrift verpasst: „Der Trend zum längeren Arbeiten ist längst da“. Nun, das kommt der Wahrheit näher. Näher jedenfalls als Nahles´ Begründung, warum es immer mehr Rentner am Arbeitsplatz hält: „Sie wollen teilhaben, ihre Erfahrungen weitergeben, haben Lust daran, an einer sinnvollen Aufgabe mitzuwirken.“, so sieht ihre schöne Welt familiengeführter Möbelschreinereien und liebevoller Ökobauern aus. Kaum umgeblättert, hat einen die Realität wieder: „Industrie warnt vor zu hohen Strompreisen“, „Wenig Hoffnung auf Rückgang der Inflation“, „Armut steigt – Krise trifft viele Saarländer“ und zu guter Letzt „Mehr Konkurse zum Jahresende“ - alles in derselben Ausgabe.

Lebt Frau Nahles ebenfalls in einer Parallelrealität? Erzählen ihre Mitarbeiter ihr einfach nicht alles? Vielleicht ist die Antwort viel naheliegender. Der Titel ihrer Magisterarbeit im Fach Germanistik lautete Die Funktion von Katastrophen im Serien-Liebesroman .

Und schon passt es wieder.

Gefühlt rechtsfreier Raum

StadtLandPlus KW 02/23

Und wöchentlich grüßt das Murmeltier! Wir hätten nichts lieber getan, als für diese Woche einen Beitrag zu schreiben, in dem wir nicht das widerwärtige Rumgetrampel von Anzugträgern auf Menschen, die sich nicht wehren können, wiederkäuen müssten. Aber wir kommen unserer informativ-satirischen Pflicht nach und kehren in den allseits unbeliebten Pavillon zurück, in dem die gleichsam bereits nach Verwesung müffelnde Jamaikakoalition von den selbst gerufenen Geistern des sozialen Verfalls heimgesucht wird.

Am Montag war die FDP endlich mal an der Reihe beim Pennerbashen; so erklärte Stadtratsfraktionshäuptling Isringhaus, der Pavillon sei ein „mit Steuern finanzierter Platz zum Dealen“. Das mag durchaus stimmen; wenn sich in den vergangenen vier Jahren irgendjemand aus der CDU- oder FDP – Fraktion nur die Bohne für diese Menschen interessiert hätte, hätte man das allerdings schon eher herausgefunden. Offenbar hatte es all die Jahre problemlos gereicht, dass der Haufen außer Sicht war. Außerdem:  bei realistischer Betrachtungsweise sind die meisten Umschlagplätze in irgendeiner Form steuerfinanziert, sie befinden sich nämlich dort, wo früher gebaut und später aufgegeben wurde. Aber das sind in der Regel Außenbezirke und Vororte, wo keine Wählerstimmen für Schwarz-Gelb zu holen sind und beispielsweise ein Uwe Conradt sich auch nicht sehr wohlfühlt. Deswegen ist das Argument von Isringhaus, der Pavillon sei „gefühlt ein rechtsfreier Raum“, auch mit äußerster Vorsicht zu genießen; für unseren OB beginnt der „gefühlte rechtsfreie Raum“ schließlich genau dort, wo der erste Aufkleber an der Laterne prangt.

Aber glücklicherweise verfügt unser Herzog von eigenen Gnaden über eine Schar starker, skrupelloser Vasallen, die ihm den Schwertarm leihen, um derlei Gesindel aus seiner wohlduftenden Hauptstadt zu vertreiben. Dummerweise hat sich da offenbar jemand mit der Adresse vertan, und so überbrachten Conradts Herolde das Räumungsultimatum vier armen Teufeln, die im Vorgarten der Wärmestube versuchen, in Zelten dem Winter zu trotzen. Eine Gemeinsamkeit mit Pavillongate gab es allerdings dennoch: Die Stadt hat keinen Schimmer, wo die Leute stattdessen hinsollen.

Sehr apart in diesem Zusammenhang waren die Ausflüchte des Sozialdezernenten Raab: Es gäbe Angebote in der Notschlafstelle oder im Bruder – Konrad – Haus. Falls Sie Zeit und Lust haben, gehen Sie einfach mal hin und machen sich selbst ein Bild. Vermutlich wird Ihnen dann einleuchten, warum der eine oder andere die Restprivatsphäre eines Zeltes vorzieht. Sollte jedoch jemand auf städtischem Grund und Boden den Kältetod sterben, ist die Stadt dafür dummerweise haftbar. Wenn er das irgendwo anders tut, erspart das nun einmal einen Haufen Papierkram.

Sogar der Otto Normalverbraucher weiß instinktiv: Wenn es um halb acht morgens an die Wohnungstür pocht und draußen stehen haufenweise Uniformierte, ist das kein gutes Zeichen. Jetzt stellen Sie sich einfach vor, die Wohnungstür sei stattdessen eine Zeltplane und eine Stunde später können Sie dabei zusehen, wie ihr gesamtes Hab und Gut bei erstklassigem Sauwetter auf dem Pritschenwagen weggekarrt wird. Dann bekommen Sie vielleicht einen Eindruck davon, wie es ist, sich im rechtsfreien Raum zu fühlen.

Schwarz sehen

StadtLandPlus KW 01/23

Wir müssen unsere Kolumne im Mitteilungsblatt vom 22. Juni berichtigen: dort war noch von zwei städtischen Sozialarbeitern die Rede gewesen, inzwischen wurde das Kontingent – hier wäre ein Tusch angebracht – auf vier erhöht! Wir müssen allerdings daran erinnern, dass 2015 die Ankündigung Luxemburgs, seine Ein – Mann – Militärpräsenz in Mali zu verdoppeln, auch für große Heiterkeit sorgte...

Offensichtlich ist die Überraschung im Rathaus groß, dass eine personelle Aufstockung von „lachhaft wenig“ auf „viel zu wenig“ keine Wunder bewirkt. Die Anwohner rund um den berühmt – berüchtigten Pavillon sind verstört bis angefressen, die Dosenbierfraktion wird grundsätzlich nicht nach seiner Meinung befragt und die Verwaltung scheint seine Streetworker eher als Wildhüter zu betrachten, die die außer Kontrolle geratene Fauna wieder ins Gehege treiben sollen. Spätestens mit dem Abriss der Wartehäuschen an der Johanneskirche hat Conradt seinen Standpunkt jedenfalls klargemacht: „Hauptsache, Ihr geht mir aus den Augen!“ Damit begab er sich allerdings auf das Niveau eines Dreijährigen, frei nach dem Motto „Was ich nicht sehe, gibt es auch nicht.“

Bei Lichte betrachtet kann er heilfroh sein, dass diese Jungs ihre Aggressionen aneinander oder an sich selbst abreagieren, obwohl sie behandelt werden wie der letzte Dreck. Mal zum Spaß angenommen, sämtliche Arbeitslosen Saarbrückens würden von Montag bis Freitag im Zweischichtbetrieb vor dem Saarbrücker Rathaus demonstrieren, dann stünden permanent rund 6000 Menschen vor Conradts Büro. Natürlich wollen wir hier niemanden auf Ideen bringen, aber ignorieren könnte man das nicht mehr ohne weiteres.

Anderswo in Deutschland wird gesellschaftlichen „Randgruppen“ eine geradezu groteske Form von Aufmerksamkeit zuteil. Seit sich in der Silvesternacht ein paar Jugendliche mit ausländischen Wurzeln danebenbenommen haben (eine Unsitte, die man nach Meinung der Bild - Zeitung offenbar erst nach Deutschland importieren musste) ist die Hysterie natürlich wieder groß. Wenn man Friedrich Merz und Markus Söder zuhört, könnte man meinen, sie seien drauf und dran, die Staatsgrenzen mit NATO – Draht und Selbstschussanlagen zu verbarrikadieren, um endlich der barbarischen Überfremdung Herr zu werden. Sieben Jahre nach der Silvesternacht in Köln immer noch nichts dazugelernt, nicht ein Problem wurde aus der Welt geschafft. Das unreflektierte Geplärre nach schärferen Strafen und mehr Polizei kommt genauso automatisiert und sinnfrei wie üblich. Klartext: die Androhung schärferer Strafen ist alleine schon deshalb nicht hilfreich, weil Gerichte und Gefängnisse jetzt schon überlastet sind. Abgesehen davon hat ein junger Kerl, der ohnehin ohne Zukunftsperspektive in seinem Ghetto – Stadtteil gefangen, auch keine Angst vor dem Gefängnis, wozu auch? Aber die CDU kannte für die Lösung sozialer Schieflagen noch nie ein anderes Rezept als draufhauen.

Noch wesentlich beunruhigender allerdings ist, was die Berliner CDU inzwischen glaubt sich erlauben zu können. Die halbstarken Silvesterkrawallos haben jetzt das Pech, dass die Senatswahlen auf den nächsten Monat vorgezogen wurden und die Union hat inzwischen alle Hemmungen vor rechtspopulistischem Stimmenfang gänzlich abgelegt. Im Innenausschuss wollten sie jetzt nicht nur die Nationalitäten der Festgenommenen wissen, sondern auch ihre Vornamen. Schließlich könnten die Jungs ja wenigstens den Anstand besitzen, ausländische Eltern zu haben. Ihrer Auffassung nach ist ein Vorname wie Ali oder Murat offenbar gleichbedeutend mit einem fehlenden Ariernachweis. Und falls das jemandem bekannt vorkommt: jep, 2019 hat die AfD hier im saarländischen Landtag genau dieselbe Frage gestellt; damals ging es um die Vornamen von Verurteilten, bei deren Vergehen irgendwie Messer im Spiel waren. Zu ihrer maßlosen Enttäuschung mussten sie feststellen, dass Michaels und Daniels offenbar die gefährlichen Dolchschwinger sind, auch bei Andreasen darf man sich nie zu sicher fühlen. Von der AfD ist ein derartiger Hirnlimbo jetzt nichts Neues, dass die CDU sich mittlerweile auf das gleiche Niveau herunterbegibt ist allerdings besorgniserregend.

Friedrich Merz beklagte sich in einem Interview, die Silvesterrowdys würden „den Staat herausfordern“ und ihn „verachten“. Das mag vielleicht sogar stimmen, aber dann sollten wir uns auch einmal mit der Frage befassen, warum.

Diagnose Burnout

StadtLandPlus KW 52/22

Wie hochgradig sinnfrei es ist, einerseits den grassierenden Personalmangel in der Pflege zu beklagen und andererseits den Beruf so unattraktiv wie nur irgend möglich zu gestalten, sollte sich mittlerweile auch in mäßig interessierten Kreisen herumgesprochen haben, sogar in den Vorstandsetagen von Klinikkonzernen. Zahllose Artikel, Kommentare, Pamphlete und wissenschaftliche Wälzer wurden zu diesem Thema verfasst – schade ums Papier. Vergessen Sie all die schnöde Theorie, denn die Kreuznacher Diakonie demonstriert Abschreckung und Vergrämung potentieller Fachkräfte am (noch) lebenden Objekt.

Als im April die Mitarbeitervertretung des Evangelischen Stadtkrankenhauses zwangsaufgelöst und in die Gesamtvertretung der Diakonie eingegliedert wurde – nur leider ohne einen einzigen Delegierten aus Saarbrücken – war bereits zu befürchten, dass da etwas im Busch ist. Im September wurde die Schließung für März 2023 dann offiziell verkündet und pünktlich zu Weihnachten flatterten dann die Entlassungspapiere nach Hause. Die „Angebote“, die einigen Beschäftigten gemacht wurden, waren an Dreistigkeit kaum zu überbieten: von Zurückstufung um mehrere Gehaltsklassen über fachrichtungsfremde Stellen bis hin zur Versetzung in mehr als 100 km entfernte Häuser war alles dabei. Während Mitarbeiter, die gerne wenigstens noch bis zur endgültigen Schließung geblieben wären, vorzeitig geschasst wurden, wurde anderen, die zum Jahreswechsel zu anderen Trägern hätten wechseln können, der Auflösungsvertrag verweigert. Als Sahnehäubchen verfiel die Diakonie auf die kuriose Idee, am 5. Januar ein „Job – Speed - Dating“ zu veranstalten; eine Art Blitz – Bewerbungsrunde, zu der andere saarländische Kliniken eingeladen wurden. Wohl nur für den Fall, dass sich irgendjemand aus der Belegschaft noch nicht hinreichend verramscht fühlt.

In diesem Debakel offenbart sich das ganze Dilemma der Pflege in der Bundesrepublik. Selbstverständlich ist es jedem Beschäftigten zu wünschen, einen neuen Arbeitgeber zu finden, der seine Mannschaft nicht wie Konkursmasse behandelt. Aber der gewerkschaftliche Schulterschluss mit anderen Beschäftigten ist nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel und ernsthafte Arbeitskämpfe selten. Perfiderweise werden hier gerne die Interessen von Pflegepersonal und Patienten gegeneinander ausgespielt; nach dem Motto: wer kümmert sich um die Notfälle, wenn die Pflegekräfte streiken?

Hier lohnt sich ein Blick nach Frankreich und Großbritannien: auch dort finden im Augenblick Streiks des medizinischen Personals statt, dennoch bleibt eine Grundversorgung gewährleistet. Niemand mit lebensbedrohlichen Symptomen wird wieder weggeschickt. Entscheidend ist nur, dass aufschiebbare Maßnahmen von den Klinikkonzernen derzeit nicht abgerechnet werden können (was scheinbar niemanden gestört hatte, solange die Regierung stattliche Summen für das Freihalten von Betten ins System pumpte). Natürlich bringt das mit sich, dass das System ein paar Wochen lang nicht sonderlich rund läuft, aber führen wir uns die Alternative vor Augen: schon jetzt kommen auf eine Pflegekraft in der BRD rund doppelt so viele Patienten wie beispielsweise in den Niederlanden; es gibt zu wenige Anwärter auf die offenen Stellen, die Ausbildungsjahrgänge werden zur Zeit auch nicht gerade stärker und aufgrund der massiven Belastung und der miesen Bezahlung springen immer mehr Pfleger ab oder schuften solange, bis sie selbst medizinische Hilfe brauchen. Wenn wir jetzt nicht anfangen, Druck aus dem Kessel zu nehmen, wird sich der Teufelskreis immer schneller drehen, und diesen Preis bezahlen wir am Ende alle: Patienten, Personal und die Allgemeinheit.

Geld ist relativ

StadtLandPlus KW 51/22

Sind die Haushaltsdebatten zum Jahresabschluss erst einmal vorbei, ist es für Lokaljournalisten immer eine Herausforderung, das leere Weiß noch mit interessanten Beiträgen zu füllen. Aber auf das kongeniale Duo Saarbrücken/ Martin Welker ist glücklicherweise Verlass. Als wahrgewordener Traum des Skandälchenjägers steht dieses Team unter Garantie für große Geldsummen, heilloses Durcheinander und enormes Stammtischpotential. Diesmal ist das städtische Gebäudemanagement GMS bass erstaunt darüber, dass ihm plötzlich Rechnungen über 1,7 Millionen € mit Welkers Namen darauf auf dem Tisch liegen. Augenblick, hier stellt ein Rechtsanwalt exorbitante Rechnungen für seine Dienste aus? Bei der GMS macht sich Fassungslosigkeit breit, und der Rest der Welt ist fassungslos, dass die fassungslos sind.

Ob Welkers Ansprüche gerechtfertigt sind, weiß ich nicht. Ganz klar ist allerdings, dass es zu dieser peinlichen Situation überhaupt nicht gekommen wäre, hätte Uwe Conradt nach seinem Amtsantritt nicht beinahe die gesamte zuständige Verwaltung gefeuert und durch einen Haufen ersetzt, der überhaupt nicht wissen kann, wer in den letzten Jahren mit wem was vereinbart hat. Warum die Lokalzeitung sich jetzt auf seine Amtsvorgängerin Britz einschießt, leuchtet allerdings nicht auf Anhieb ein. Kein Bürgermeister irgendeiner Großstadt der Welt kann sich jede einzelne Ausschreibung und jeden einzelnen Verwaltungsakt persönlich vornehmen; genau aus diesem Grund wurden Posten wie Dezernatsleiter oder Geschäftsführer überhaupt erfunden. Es war Conradt gewesen, der Welker vor zwei Jahren fast zum Baudezernenten gemacht hätte. Dann hätte wenigstens einer in dieser Abteilung gewusst, was Sache ist.

Aber auch solche Geldsummen müssen relativ gesehen werden; die Stadt kann nicht im engeren Sinne pleite gehen. Ihre Einwohner hingegen schon. Eingedenk dessen hat das Justizministerium endlich ein Projekt aufgelegt, das sogenannte „Ersatzfreiheitsstrafen“ möglichst abwenden soll, sprich: wenn irgendein armer Teufel eine Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss es sinnvollere Möglichkeiten geben, als ihn einzulochen. Es kommt so gut wie nie vor, dass jemand bei der Entlassung vernünftigere Lebensbedingungen vorfindet als vorher; die Leute verlieren Jobs, Wohnungen, Ehepartner und finden sich gerade aufgrund ihres ersten Knastaufenthalts nicht selten bald wieder dort ein. Abgesehen davon musste das Ministerium sich allmählich etwas einfallen lassen, gerade aufgrund dieser Ersatzstrafen sind die beiden saarländischen Gefängnisse nämlich bereits wohlgefüllt, Tendenz steigend.

Inzwischen sitzt bundesweit einer von neun Häftlingen nur wegen einer unbezahlten Geldstrafe, meistens aufgrund von Banalitäten wie Schwarzfahren. Alleine nur für diese Fälle gibt die öffentliche Hand jährlich mehrere hundert Millionen € an Strafvollzugskosten aus; rein rechnerisch könnte die BRD jedem einzelnen Knacki stattdessen einen persönlichen Streetworker stellen. Das niemand der Deutschen Bahn ungestraft das Geld vorenthält, dass er ohnehin nicht hat, scheint aber wichtiger zu sein.

Wer allerdings glaubt, die rund vier Milliarden € jährlich fürs Einknasten von Menschen seien viel Geld, sollte sich die Margen beim fachmännischen Menschen – totmachen genauer ansehen; alleine der Puma – Schützenpanzer kostete die Bundeswehr rund eineinhalb mal so viel. Wobei, zugegeben: Zum Totmachen scheint er nicht besonders zu taugen; 18 Pumas rückten diesen Herbst in ein zweiwöchiges Manöver aus – keine Überlebenden! Also aufseiten der Panzer. Dabei wurden sie laut Kommandeur „nicht übermäßig beansprucht“. Na, dann wollen wir mal auf einen rücksichtsvollen Feind hoffen, das ist offenbar unsere einzige Chance. Eines muss man dem Puma allerdings lassen: was das Thema überteuerte Schrottpanzer angeht, führt er nach dem HS-30 aus den Sechzigern eine stolze Tradition fort. Im Rahmen dieser hochinteressanten Affäre flossen übrigens mehr als 50 Millionen DM Schmiergelder, bevor der Panzer ausgeliefert wurde. Ich sags nur.

 

Wort zum Sonntag

StadtLandPlus KW 50/22

„Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.“ So wurde ein gewisser Jesus in der Bibel zitiert, mit einer Rede, die er unweit der Golanhöhen zwischen dem heutigen Israel und Syrien abgehalten haben soll, was die Frage aufwirft, ob Gottes Reich eher Versprechen oder Drohung war. Aber warum in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte liegt so nah; Armut haben wir auch im Regionalverband Saarbrücken mehr als genug. In dem immer verzweifelteren Bemühen, die immer größeren sozialen Löcher halbwegs zusammenzuhalten, hat sich der Etat in den vergangenen zehn Jahren auf inzwischen 652 Millionen € verdoppelt; 73 Millionen mehr als im vergangenen Jahr. Knapp 300 Millionen davon müssen die Kommunen selbst zusammenkratzen; und die Frage nach dem Woher wird von Jahr zu Jahr spannender. Eine Vermögenssteuer hätte das Problem wenigstens teilweise entschärfen können, aber in welcher Demokratie bekommt man schon eine Mehrheit für eine Entscheidung, von der 90% der Bevölkerung profitieren würden?

Im Augenblick deutet alles darauf hin, dass sich das Armutsproblem im Saarland noch verschärfen wird. Die Lokalzeitung wusste diese Woche mitzuteilen, dass die Mieten im Saarland sogar noch schneller steigen als im Bundesdurchschnitt und dass die Inflation eine in der BRD historisch unerreichte Reallohnsenkung verursacht hat. Vor allem die Preise für Energie und Baustoffe sind uns mit Karacho um die Ohren geflogen und die Bundesregierung wird ihre mit großem Tamtam beschworenen Ziele, was den Neubau bezahlbarer Wohnungen angeht, um Meilen verfehlen. Lustigerweise fühlte sich die SZ am Donnerstag sogar genötigt, die Leser zu trösten und zu titeln: „Immobilien: Experten erwarten sinkende Preise“. Nun, beruhigen Sie sich. Mit etwas Glück steigen die Preise für Bestandsbauten erst einmal nicht weiter, schön und gut. Sie können dem Artikel allerdings entnehmen, dass das durchschnittliche Einfamilienhaus in den letzten fünf Jahren preislich um etwa 36% zugelegt hat. Vergleichen Sie das einfach mal mit ihrer Lohnsteigerung der letzten fünf Jahre. Setzen Sie sich vorher aber hin.

Alles in allem keine sehr rosigen Aussichten für das kommende Jahr. Umso interessanter ist dabei der neuste Bericht des saarländischen Verfassungsschutzes. Da aus gegebenem Anlass die Reichsbürger um ihren Zar Heinrich Prinz Rheuma in aller Munde sind, haben die Wächter der repräsentativ-demokratischen Grundordnung in deren Kielwasser eine ganz neue Bedrohung aus der Bracke gezogen: den Delegitimierer. Das sind weder Reichsbürger noch zwangsläufig Rechtsradikale; laut Bericht haben sie „das Vertrauen in den Staat, seine Einrichtungen und Repräsentanten und auch in die Medien verloren.“ Tja, gerade die SPD täte gut daran, bei diesen brandgefährlichen Subjekten genau hinzusehen. Vielleicht erkennt sie den einen oder anderen Stammwähler von vor 25 Jahren wieder. Nachdem die ganz, ganz große Koalition aus Union, SPD, FDP und den Grünen ohnehin dekadenlang die soziale Spaltung vorangetrieben hat, hat sie in den letzten drei Jahren das gesamte öffentliche Leben teilweise komplett stillgelegt, Millionen von Menschen ohne die geringste Kompensation ihre Existenzgrundlage geraubt, ihnen jegliches stabilisierendes soziales Umfeld genommen und sie vor Bildschirmen, über die Facebook und Twitter als mentale Giftmülldeponien ihre Umsätze generieren, zwangsgeparkt. Das Endprodukt seiner eigenen fehlgeschlagenen Politik vor die Wahl zu stellen, der Regierung entweder zu vertrauen oder als Verfassungsfeind abgestempelt zu werden, beweist einen beunruhigenden Mangel an Selbstreflexion.

Tag X

StadtLandPlus KW 49/22

Der Tag X ist gekommen! Der Haushalt für Saarbrücken 2023 ist nach wochenlangen Debatten in trockenen Tüchern, kann aber selbstverständlich nicht alle vorweihnachtlichen Erwartungen erfüllen. Dafür aber die meisten endzeitlichen Befürchtungen. Leidgeprüfte Hoteliers und Zweitwohnungsbesitzer werden weiterhin vom Fiskus verschont; und von dem Geld, das deshalb weniger in die Kassen gespült wird, spendieren die Grünen der Stadt ein Radwegebudget von sage und schreibe 4,7 Millionen €.  Das entspricht den Budgets für Gemeinwesen und Sozialarbeit, Hochwasserschutz, den Kitausbau, das Stadtumbaumanagement und die Neueinkleidung der Feuerwehr zusammen. Ob Frau Meyer vorhat, jedem Einwohner der Stadt zu Weihnachten ein eigenes Fahrrad zu spendieren, ist noch Gegenstand von Spekulationen.

Diese Woche haben die Sozialdemokraten auf Landesebene sich ihr mehrere Milliarden € schweres Umstrukturierungspaket selbst unters borkenkäferzerfressene Bäumchen gelegt und die Union rauft sich erwartungsgemäß die Haare. Deren Fraktionschef Toscani wurde mit der Meinung zitiert, dieser Schuldenberg würde künftigen Generationen die Chance rauben, aufkommende Krisen zu reagieren. Vorschlag zur Güte: Wie wäre es, wenn wir bis dahin auf die Krisen reagieren, die bereits da sind, anstatt sie mit muddi-, Verzeihung, buddhistischer Gelassenheit auf uns zurollen zu lassen? Abgesehen davon: die Bundes – SPD wird ihre einzige absolute Landesmehrheit nicht hängen lassen.

Das macht sie stattdessen mit Ex – Senkrechtstarter Emmanuel Macron, besitzt dieser Mann doch tatsächlich die Dreistigkeit, vorsichtig anzudeuten, dass die NATO vielleicht allmählich mal anfangen könnte, sich an die Zusagen aus den frühen Neunzigern zu halten. Wenn man mal kurz darüber nachdenkt, geht es schon längst nicht mehr um die ideologische Frage, ob man Putins Einmarsch in die Ukraine gerechtfertigt findet, sondern wie man noch verhindern kann, dass sich der neue Kalte Krieg in einen heißen verwandelt. Auch die SPD und die Grünen müssen sich allmählich ernsthaft damit auseinandersetzen, obwohl – oder gerade weil - diese beiden Parteien natürlich auch in gewisser Hinsicht Kriegsgeschädigte sind. Schließlich mussten sie ein Auschwitz im Hindukusch verhindern und Deutschland im Kosovo verteidigen, falls mir meine Erinnerung keinen Streich spielt.

Dabei ist auch das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA alles andere als rosig, wie beim TTC – Zusammentreffen am Montag wieder einmal deutlich zu erkennen war. (Anmerkung: TTC steht für Trade and Technology Council; ein Kooperationsgremium zwischen der EU und den USA.) Inzwischen kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass Joe Biden die „America first!“ - Politik durchpeitscht, die Trump lediglich großmäulig propagierte. Hunderte Milliarden US-Dollar Subventionen fließen unter seiner Ägide in nachhaltige Technologien bzw. was dafürgehalten wird; und dank der Spaltungspolitik zwischen EU und Russland bezahlt die Industrie in Amerika etwa ein Fünftel der Energiekosten verglichen mit der BRD. Naheliegender weise haben die Abwanderungstendenzen bereits begonnen, und gleichzeitig fordern die USA von Europa zum Beispiel im Geschäft mit Hochleistungschips die völlige Abkehr von China. Vermutlich sind Scholz und Habeck heilfroh, wenigstens die „Abhängigkeit“ von Russland los zu sein.

Auch ihr Kabinettskollege Lauterbach wird von seinen selbstgerufenen Geistern gejagt. Als einer der Väter des Fallpauschalensystems war er mit dafür verantwortlich, dass zwecks Maximierung des Profits die Diagnosen und Behandlungsmethoden der Patienten sich nicht nach Symptomen, sondern der Buchhaltung orientierten. Jetzt ist es hochinteressant, der Frage nachzugehen, ob unser Gesundheitsminister lernfähig ist oder uns nur derselbe Kellner eine neue Suppe einbrockt, aber das würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. (Hierzu sei auf diesen ausführlichen Artikel: Lauterbachs Irrgarten - ein StadtLandPlus Spezial, hingewiesen.)

Fast noch drängender scheint diese Woche allerdings nach schlagzeilenträchtigen Razzien in der Reichsbürgerszene, bei denen Soldaten und Polizisten festgenommen werden mussten, eine andere Frage zu sein: Ist mit „Tag X“ eigentlich der Tag gemeint, an dem Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst anfangen zu überprüfen, wessen Geistes Kinder hier eigentlich mit Dienstgraden, Uniformen und Waffen herumspazieren dürfen?

Lauterbachs Irrgarten

StadtLandPlus Spezial

Der Pandemie geht inzwischen selbst die Puste aus. Ob an oder mit Corona – sie liegt in den letzten Zügen. Urplötzlich scheint unserem Gesundheitsminister das Licht aufgegangen zu sein, dass es einst eine Gesundheitspolitik jenseits der Seuchenbewältigung gab – und dass trotz zahlloser Reformen und Reförmchen der Erneuerungsbedarf seit Jahrzehnten wächst und wächst. Fassen wir die Ausgangssituation kurz zusammen: Nach knapp drei Jahren Covidkrise ist die Privatisierung im Krankenhaussektor ungebrochen auf dem Vormarsch und die damit einhergehenden Rationalisierungsorgien wurden erstaunlicherweise von niemandem in Zweifel gezogen, nicht einmal während der schlimmsten Infektionswellen. Die „besorgten Wissenschaftler“ in Zeitungen und Talkshows - Lauterbach selbst immer an vorderster Front - redeten jahrelang dem Volk ins Gewissen, stets nach dem Motto: „Wenn unser Gesundheitssystem kollabiert, seid Ihr schuld, weil Ihr zu wenig aufgepasst habt!“ Tatsache ist allerdings, dass die Anzahl der Krankenhausbetten pro 1000 Einwohner zwischen 1991 und 2020 um rund 17% gesunken ist (1991: rund 146 Einwohner pro Bett/ 2020 : rund 171 Einwohner/ Bett), im gleichen Zeitraum ist der Anteil privat betriebener Kliniken von knapp 15% auf fast 40% angewachsen. Die Produktion medizinischer Nachschubgüter in Billiglohnländern hat in Zeiten abgerissener Lieferketten seine unschöne Seite gezeigt und das Pflegepersonal geht aufgrund chronischer Unterbesetzung schon im „normalen“ Betrieb auf dem Zahnfleisch. Konstatieren wir also getrost, dass vor allem die privatisierten Kliniken in der BRD Kostensenkungskampagnen in einem Ausmaß zum Opfer gefallen sind, dass nur noch die Standartmedizin so gerade eben gewährleistet werden kann, wohingegen eine Pandemie oder auch nur eine mittelschwere Grippewelle nicht zu bewältigen ist, weil sie schlicht und ergreifend nicht in der Buchhaltung steht.

Und in ebendieser Buchhaltung machen sich das Fallpauschalen-System und die enorme Inflation zunehmend unschön bemerkbar; die Unternehmensberatungsfirma Roland Berger beziffert die Verlustmarge öffentlicher Kliniken 2022 auf rund 90%. Da mag man sich gar nicht ausmalen, wie es in diesen Häusern aussähe, wenn sie auch noch Aktionäre zufriedenstellen müssten. Nun hat Lauterbach aber angekündigt, die fallpauschalenbasierte Finanzierung – die unter anderem auch sein geistiges Kind ist – grundlegend umzubauen; gar eine „Revolution“ wurde versprochen. Diese „Revolution“ sieht vor, zunächst einmal die gesamte Bandbreite medizinischer Versorgung in 128 „Leistungsgruppen“ zu unterteilen. Künftig könnten Kliniken dann nur noch Rechnungen für jene Leistungsgruppe ausstellen, für die sie zertifiziert sind. Dementsprechend würden sie organisatorisch in drei Kategorien eingeteilt: Große Universitätskliniken mit Maximalversorgung qualifizieren sich als Level-3-Krankenhäuser, regionale Schwerpunkthäuser als Level 2 mit Regel- oder spezialisiertem Angebot und die kleine Einrichtung vor Ort darf als Level 1 nur noch die Grundversorgung übernehmen. Dafür sollen sie gänzlich aus dem Fallpauschalensystem herausgenommen werden, und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Level-1-Kliniken übernehmen entweder nur noch die Notfallbehandlung oder fungieren nach dem Vorbild des dänischen Systems als ambulantes Behandlungszentrum, wo die eigentlichen Leistungen von niedergelassenen Fachärzten aus der Umgebung erbracht werden. Im nördlichen Nachbarland gibt es eineinhalb Dutzend Zentralkliniken mit Maximalversorgung; der Rest fungiert als „Dänisches Bettenlager“, angemietet von niedergelassenen Ärzten, und hält kaum eigenes Personal. Dort funktioniert das System auch ganz gut; allerdings hat Dänemark auch weniger Einwohner als Hessen und weniger Fläche als Niedersachsen, zudem verteilt auf 74 bewohnte Inseln. Von daher erscheint es mehr als fraglich, ob dieses Konzept auch in Deutschland Sinn ergibt. Genau das schlug aber die Bertelsmann-Stiftung kurz vor der Coronapandemie noch vor. Und kaum neigt diese sich dem Ende zu, wird wieder zum großen Halali auf die medizinische Infrastruktur geblasen.

Lauterbachs Ideen beinhalten nämlich keinerlei Bestandsschutz für noch existierende Kliniken, keine Erhöhung der finanziellen Zuwendungen und für die Profiteure des Systems auch keine Beschränkungen hinsichtlich Gewinnausschüttungen. In Anbetracht dessen, dass Lauterbach 2019 noch in das selbe Horn wie die Bertelsmann-Stiftung trötete, kommt einem der dumpfe Verdacht, dass das Kliniknetz hier über die Hintertür abgewickelt werden soll.

Einem Herzinfarkt- oder Schlaganfallpatienten nutzt das weltbeste Krankenhaus wenig, wenn es zu weit weg ist, und eine lokale Klinik, die die entsprechenden Maßnahmen nicht einleiten (und abrechnen!) kann oder will, ist ebensowenig hilfreich. Eine flächendeckende Versorgung kostet Geld, daran ist nun einmal nicht zu rütteln. Es ist allerdings seltsam, dass Grundrechte wie Freizügigkeit und Demonstrationsrecht ohne mit der Wimper zu zucken auf dem Alter der allgemeinen Gesundheit geopfert wurden, beim Geld der Spaß allerdings sofort aufhört.

Generalverdachte und Sommerliebschaften

StadtLandPlus KW 48/22

Ein Jammer, der Welker - „Skandal“ wollte den hollywoodesken Erwartungen dann doch nicht wirklich gerecht werden; die in seinem Büro gefundene Waffe gehörte tatsächlich einer suizidgefährdeten Mandantin und das Bargeld hatte Welker selbst beiseitegeschafft. Jetzt muss er den Fiskus eben doch ausbezahlen, und alles was übrig bleibt ist eine Farce, die selbst der hintersten Provinzlaienbühne zu peinlich gewesen wäre. Wenn eine Komödie von Shakespeare „Viel Lärm um nichts“ heißen darf, wie soll man das dann nennen?

Aber in diese Sache ist wenigstens Bewegung gekommen, was man laut einer neuen Studie vom Saarländer als solchem scheinbar nicht mehr behaupten kann. Da wollen uns Statistiker doch ernsthaft weismachen, dass sich Menschen nach jahrelangem Zwangskleben - zwar nicht fürs Klima, sondern das kaputtgesparte Gesundheitssystem, dafür aber vor den Computer – zu wenig Auslauf angewöhnt haben. Eiderdaus, wer hätte das gedacht! Aber andererseits, jetzt wo Amazon den Einzelhandel und Lieferando die Gastronomie sturmreif geschossen haben, wo sollen die Leute auch noch hin?

Nichts ganz so offensichtlich ist die Begründung, weshalb der Landtag die Kennzeichnungspflicht für Polizisten im Dienst verweigert. Niemand hat gefordert, dass sie sich ein Schild mit Namen und Wohnadresse um den Hals hängen müssen; lediglich eine eindeutige Kennziffer. Aber was bei der Bundespolizei und in anderen Bundesländern vernünftig ist, muss im Saarland noch lange nicht sein: das führe zu einem „pauschalen Generalverdacht“ gegen Polizisten, findet Luisa Naumann von der GdP-Landesjugend. Dafür gab´s vermutlich ein Fleißkärtchen von Bouillon, leider ist es allerdings genau umgekehrt: Wenn Polizisten zu sehr über die Stränge schlagen, ist die Möglichkeit, sie auseinanderzuhalten, die einzige Chance, einen Generalverdacht zu vermeiden.

In Bayern hingegen scheint ein anderer Generalverdacht vorzuherrschen: in Deutschland wird noch bei weitem nicht genug gearbeitet! Während in Ländern mit einem beträchtlich geringeren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf längst über die Vier-Tage-Woche nachgedacht wird, überlegt CSU-Politikerin Scharf – aus einem Akt sarkastischen Humors heraus Sozialministerin – ob Arbeitnehmer in Deutschland nicht die faire Chance bekommen sollten, statt zehn lieber zwölf Stunden täglich schuften zu dürfen. Auf freiwilliger Basis, versteht sich. Falls also ihr Chef irgendwann mit einem „Angebot, dass man nicht ablehnen kann“ auf Sie zukommt – nun, sie sind gewarnt. Allerdings werden die zusätzlichen Arbeitsstunden nötig sein, um die Sozialkassen zu füllen, die jene Menschen am Leben erhalten, die wegen der längeren Schichten dann nicht mehr gebraucht werden. In ihrer freien Zeit werden die dann von dem Geld, dass sie weniger haben, die zusätzlichen Produkte kaufen, die in den längeren Schichten hergestellt werden. Oder so.

Scharf nennt dies ein „modernes, flexibles Arbeitszeitgesetz“, und wem dieses Gefussel bekannt vorkommt: ja, es erinnert gewaltig an Schröders „Flexibilisierung der Arbeitsmärkte“. Wie bereits erwähnt, Sie sind gewarnt...

Trauriger weise dämmert auch schon seit einiger Zeit, dass unsere einstige Sommerliebe, mit der wir drei fantastische Monate hatten und die jederzeit für eine Spritztour zu haben war, nicht mehr ganz die gertenschlanke Figur von damals hat. Das „49€-Ticket“, das uns die Ampel als vermeintliches Allheilmittel der Verkehrswende andrehen will, ist ein schlechter Scherz. Erstens haben die Verkehrsbetriebe bereits damit gedroht, dass sie ihr Angebot leider, leider werden zurückschrauben müssen, falls Bund und Länder ihnen im Gegenzug nicht genug Fördermittel in den Hals drücken (zusätzlich zu den üblichen Subventionen, versteht sich). Zweitens, hier wollen wir fair bleiben, in Bundesländern wie Brandenburg dürfte es schwierig werden, das Angebot noch weiter zurückzufahren. Drittens sollten wir die ungebrochen hohe Inflationsrate nicht aus den Augen verlieren. Wachen Sie auf, der Preis von einem knappen Fuffi monatlich gilt maximal bis Jahresende als Schnupperangebot. Und viertens wird das Geld ganz offensichtlich dafür gebraucht, die Fossil- und Atomindustrie künstlich am Leben zu halten; was soll man machen? Wenn die Gewinnerwartungen unserer Spitzenindustrien erfüllt werden müssen, muss sich die Menschheit eben hintenanstellen.

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben...

StadtLandPlus KW 47/22

Spätestens seit dem Scheitern seiner Jamaika-Koalition ist im Politikstil unseres Oberbürgermeisters ein leichter Anflug von Schizophrenie erkennbar. Das neuste Symptom dieser inneren Spaltung ist, dass er endlich sein Wahlversprechen, den Burbacher Markt aufzuwerten, realisieren will, indem er das Bürgeramt von dort weg verlegt. Sicher, niemand geht dorthin, wenn er es vermeiden kann, aber wenn es nun mal sein muss, werden die wenigsten Menschen Lust haben, noch einen Spaziergang zu den Saarterrassen zu machen. Dort will die GIU das neue Amt hochziehen und anschließend der Stadt vermieten; Baukosten: bis dato unbekannt. Eins gilt allerdings als sicher, der Notgroschen auf dem Dachboden ihres Geschäftsführers dürfte dafür nicht reichen.

Um wahrhaft stolze Summen wird allerdings im Landtag gezankt. Bereits vorletzten Monat kündigte Anke Rehlinger an, den unvermeidbaren massiven Umstrukturierungen in der Wirtschaft mit einem Sonderhaushalt von stattlichen drei Milliarden € Starthilfe zu geben. Die CDU zeigt sich natürlich bestürzt und prophezeit die Zahlungsunfähigkeit des Landes bis Mitte der dreißiger Jahre. Vielleicht befürchtet sie, bis dahin wieder in die Regierung zu müssen. Jetzt ist es leider nicht ganz von der Hand zu weisen, dass etliche Jahre unionsgeführter Regierungen in Bund und Land den Haushalt in einem Zustand zurückließen, der den Transformationsfonds unausweichlich machte. Ein simples „Weiter so!“ überlebt das Saarland als Wirtschaftsstandort garantiert nicht.

Währenddessen mimt Friedrich Merz im vorweihnachtlichen Berlin gar preisverdächtig den Ebenezer Scrooge. War das viel gepriesene „Bürgergeld“ von Anfang an eher ein „Hartz IV light“, ist jetzt jeder ernsthafte Versuch, wenigstens etwas Menschenwürde walten zu lassen, von der CDU (und einigen treulosen FDPlern) zur Unkenntlichkeit zertrümmert worden.

Das war leider kaum anders zu erwarten, aber noch bunter trieben es die westlichen Industriestaaten auf dem Klimagipfel in Ägypten. (Ist Ihnen auch aufgefallen, dass nach bald drei Jahren Coronakrise kein Mensch auf die Idee gekommen ist, wenigstens den Klimagipfel per Videoschalte stattfinden zu lassen?) EU und USA machen sich über das 1,5-Grad-Ziel offensichtlich keine Illusionen mehr und haben beschlossen, sich wie üblich freizukaufen. Sie haben es tatsächlich fertig gebracht, aus aller Welt ein paar Tage nach Ägypten zu fliegen und zu beschließen, dass auf dem nächstjährigen Klimagipfel endgültig etwas beschlossen werden soll. Nämlich ein Katastrophenhilfefonds mit dem doppelbödigen Namen „Loss and damage“, für den die Industrieländer bislang 360 Millionen Dollar zugesagt haben. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die klimabedingten Schäden in der Welt bis 2030 auf das etwa 1.600-fache aufsummiert haben werden - pro Jahr – dürften Länder wie Pakistan mit dem Konfetti eher sparsam gewesen sein. Und dann steht dienstags in der Saarbrücker Zeitung: „Forscher zweifeln an der Wirkung von Klimagipfeln“. Mussten die auch hinfliegen, um sich ein Bild der Lage zu machen, oder sind sie auch so darauf gekommen?