Rede zum Haushalt der Stadt Saarbrücken

Stadtrat am 06.12.2023

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

werte Kolleginnen und Kollegen,

 

erst vergangene Woche sagte Bundeskanzler Scholz in einer Regierungserklärung, Deutschland stünde vor „Herausforderungen, wie unsere Republik sie in dieser Konzentration und Härte wohl noch nicht erlebt hat“, und wir haben allen Grund zu der Annahme, dass er wenigstens dieses Versprechen hält. Die Hütchenspielerei des Finanzministers fliegt uns um die Ohren, die Energiepreisbremse wird mitten im Winter beendet, weitere Sozialkürzungen werden folgen und letztlich ist der gesamte Bundeshaushalt zur politischen Verhandlungsmasse verkommen. Kurz gesagt, der Bund macht unsere schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich der „Zeitenwende“ wahr – und das immer weiter zu Lasten der schrumpfenden Mittelschicht und der Ärmsten in unserem Land.

Und uns allen in diesem Raum ist klar, dass dieser Druck wie üblich nach unten weitergereicht wird. Wir müssen uns in den nächsten Jahren darauf einstellen, dass wir weder für die immer noch hohe Inflation noch für die steigenden Sozialausgaben Kompensation erfahren werden. Gestern erklärte das Land, das jetzt auch das Obst in Kindergärten und Grundschulen zur Disposition steht, wenn nicht die EU einspringt – und hier wurde in der Vergangenheit auch schon gekürzt.

Geschätzte Kollegen, das kann unmöglich eine Lösung sein! Während wir uns hier mit „Überbrückungslösungen“ rumschlagen und mit den laufenden Kosten für die Unterbringung von Menschen gerne mal ein Jahr im Regen stehengelassen werden, bremst uns dann das ländische Rechnungsprüfungsamt. Herzlichen Dank auch.

Vor diesem Hintergrund umso unbegreiflicher ist die Umgestaltungswut unseren werten Herrn Oberbürgermeisters. Der Rat hat im letzten Jahr eine Absage an weitere Mittel für die Fußgängerzone erteilt. Eine Fußgängerzone noch zu erweitern, in der ohnehin haufenweise Läden Leerstehen und durch die Menschen mit immer leereren Taschen laufen, war bereits verwunderlich genug, aber trotzdem kommt diese Mittelforderung beharrlich wieder.

Herr Conradt, Sie machen ungerührt ein Fass nach dem anderen auf, obwohl keines davon einen Boden hat. Vor knapp einem Jahr wurden Sie mit der Aussage zitiert, Saarbrücken werde „sein Gesicht an vielen Stellen dramatisch verändern“. Das klingt zunehmend nach einer Drohung, die wir uns nicht mehr leisten können!

Ihre Prestigeprojekte zur Wahlkampfförderung kosten die Stadt Unsummen, gleichzeitig mangelt es uns an Grundschullehrern, Erziehern und Sozialarbeitern; insgesamt sind in der Stadt hunderte von Stellen unbesetzt. Sogar in der Personalabteilung fehlt das Personal, um Personal zu rekrutieren. Gleichzeitig sehen wir in den Personallisten immer mehr Praktikanten auftauchen. Wir haben massiv den Eindruck, dass vor der Kommunalwahl noch ein paar möglichst auffallende Prestigeprojekte auf Kosten der Substanz angeschoben werden sollen.

Alleine für das Geld, das Herr Conradts kleines Dauerwerbe – Druckerzeugnis kostet, könnten wir problemlos mindestens eine Schule mit kostenlosen Mittagessen versorgen; ich schlage vor, dass Sie das „C“ in ihrem Parteinamen vielleicht mal entstauben. Die Gemeinwesenarbeit wird ebenso vernachlässigt; solche Probleme lösen sich nicht von selbst und auch nicht dadurch, dass man nach dem Regionalverband ruft.

Gespart wird ohnehin bereits an den falschen Stellen, zum Beispiel bei der Sozialarbeit und bei Therapieangeboten. Auch wenn man den Faktor Empathie völlig aus der Gesamtgleichung streicht, langfristig rächt sich dieser Geiz immer. Die Menschen, um die wir uns jetzt nicht ausreichend kümmern, tauchen später im Jobcenter, im Sozialamt und auf dem Sonnenberg wieder auf. Wie bitter es sich rächen kann, Probleme vor sich herzuschieben, dürfen wir jetzt beim Sozialwohnungsbau bewundern: Während die Stadt untätig war, sind die Kosten für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in kaum noch machbare Höhen geschossen.

Liebe Sozialdemokraten, euer eisernes Stemmen gegen die Erhöhung von Bettensteuer und Anwohnerparkgebühren mag an den Stammtischen Eindruck schinden, aber sehen wir den Tatsachen ins Auge: Wir brauchen dringend Geld! Und wir können auch als Stadt nicht ausgleichen, das der Kanzler sein Wort nicht hält, was die Mehrwertsteuer in der Gastronomie betrifft.

Auch von der Landesebene ist offensichtlich keine Hilfe zu erwarten angesichts der Tatsache, dass sie uns schon im letztes Jahr nicht mal den Sonderkredit für das Winterberg-Klinikum bewilligen wollte.

Meine Damen und Herren, wir haben es in den letzten Jahren fertiggebracht, die Zahl der Krankenhäuser in Saarbrücken von fünf auf zwei zu reduzieren. Wenn der Winterberg jetzt auch noch zusammenbricht, wird es am Rastpfuhl aussehen wie vor drei Jahren in Italien, und zwar unter Normalbedingungen. Eine weitere Pandemie oder auch nur eine schwere Grippewelle brächte unsere Gesundheitsversorgung ungefähr auf das Niveau des Libanon. Wann beziehungsweise ob Lauterbachs Krankenhausreform überhaupt kommen wird, ist noch unklar, ebenso ob sie den erhofften Erfolg zeigen wird. Ohne weitere Geldmittel von der Bundesebene, ohne eine langfristig gesicherte Finanzierung werden wir in den nächsten Jahrzehnten unmöglich etwas Anderes als Mängelverwaltung betreiben, die Verteilungskämpfe werden mit immer härteren Bandagen geführt werden. Das einzige Gremium, das genügend Reichweite hat, um in Berlin gehört zu werden, ist der Deutsche Städtetag, in dessen Vorstand Sie sitzen, Herr Conradt. Ich schlage vor, Sie bringen in den nächsten sechs Monaten dort ein paar entsprechende Vorschläge ein, sonst wird die kommende Legislatur für uns alle kein Vergnügen.

Mittlerweile ist es schlichtweg atemberaubend, wie weit sich der offizielle Tenor von der Realität entfernt hat. Wirtschaftspolitiker beschwören eine Industrietransformation herauf, aber inwieweit das Saarland davon profitieren wird, steht wahrlich noch in den Sternen. Umweltpolitiker erklären seit 20 Jahren, dass wir an der Schwelle zu einer Mobilitätswende stehen, aber sehen wir aus dem Fenster, ist es dasselbe Bild wie eh und je.

Die Förderversprechungen aus dem Transformationsfonds sind bisher größtenteils wolkige Ankündigungen, der rasante Abbau der Industrie als Fundament unserer Wirtschaft ist hingegen bittere Realität. Knapp zehn Prozent der saarländischen Unternehmen sind insolvenzgefährdet.

Realitätsverweigerung, jahrzehntelanges Aufschieben und das Opfern langfristiger Investitionen auf den Altar das schnellen Profits haben uns in diese Lage manövriert. Anderen Kommunen geht es genauso, deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir eine realistische Chance auf eine Finanzierungsreform haben. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir Bund und Land endlich beim Wort nehmen.

 

Ich danke Ihnen.

Erweiterung Fußgängerzone: Kein Durchkommen mehr!

In den letzten Jahren scheint es in Saarbrücken leider Usus zu werden, Projekte ohne ernstzunehmende Bürgerbeteiligung an den Betroffenen vorbeizupeitschen. Die geplante Erweiterung der Fußgängerzone über die Katholisch-Kirch-Straße wäre ein aktuelles Beispiel. Seien wir ehrlich: wer den viel beschworenen „Bürgerdialog“ auf eine einsame Videokonferenz reduziert, will die Meinung der Anwohner und Geschäftsbetreiber doch gar nicht so genau wissen.

Der Oberbürgermeister will laut seiner eigenen Aussage „dass der Aufenthalt am und um den Markt noch angenehmer wird für die Menschen.“ In diesem Fall schlagen wir vor, zunächst die bereits vor Jahren beschlossenen Maßnahmen umzusetzen, anstatt übereilt einen neuen Plan aus dem Ärmel zu schütteln.

Hier werden längst bestehende Baulückenkonzepte torpediert und mindestens ein Geschäft in seiner Existenz bedroht. Das schafft in erster Linie keinen Mehrwert für Besucher Anwohner und Geschäftsbetreiber, sondern für Immobilienmakler.

Zumal dieses Projekt bereits jetzt mit einer knappen Million kalkuliert ist, und niemand glaubt angesichts der momentanen Inflation ernsthaft, dass es dabei bleiben wird. Und auf die zahlreichen Probleme hingewiesen, die sich für die Anwohner bei der Durchfahrt ergeben werden (von Feuerwehr und Rettungswagen einmal abgesehen) antwortet die Verwaltung allen Ernstes mit „Da haben wir keine bessere Lösung gefunden!“ Wenn das ab sofort der Maßstab für die Verwaltungsarbeit sein soll, können wir uns in den nächsten Jahren auf kuriose „Lösungen“ gefasst machen.