StadtLandPlus – Der Blog der Saarbrücker Linksfraktion
Schön, dass Sie uns gefunden haben!
Der vorliegende Blog entstand als Weiterführung der zweiwöchentlich erscheinenden Kolumne im städtischen Mitteilungsblatt. Aufgrund des begrenzten Platzangebotes und der langen Veröffentlichungsintervalle entschieden wir uns, ein entsprechendes Format auf unserer Homepage einzurichten, das kommunale, regionale und überregionale Themen abdeckt in der Hoffnung, am einen oder anderen Gesprächsthema rühren zu können (was allerdings nicht bedeutet, sich immer bierernst nehmen zu müssen).
Viel Spaß bei der Lektüre!

Der Verkehrswendler Teil 2: Brief an die Leser
Nachdem die Reaktionen auf unseren Beitrag „Verkehrswendler“ unerwartet emotional ausfielen, sehen wir uns gezwungen, ein paar Dinge klarzustellen. In dem Beitrag ging es darum, die Verlogenheit der deutschen Verkehrspolitik auf den Punkt zu bringen; ob man die klebrigen Protestaktionen für eine dufte Idee hält, ist eine völlig andere Frage.
Uns ist natürlich klar, dass der Mindestlohn-Malocher, der Woche für Woche betet, dass der Wagen durchhält, nicht gerade begeistert ist, wenn er wegen einer Protestaktion halbwüchsiger Besserwisser zu spät zur Arbeit kommt. Genauso ist uns klar, dass ein Leiharbeiter, der gezwungen wird von Monat zu Monat zu kämpfen, nicht allzu viele Gedanken an Umweltprobleme verschwenden kann, die in zwanzig oder dreißig Jahren eintreten. Es war auch nie die Rede davon gewesen, dass ein Schnösel, der 80.000 € für einen fabrikneuen Tesla aus der Portokasse fischt, sich deshalb wie Graf Tofu aufführen sollte.
Aber vielleicht wäre es sinnvoller, sich zur Abwechslung mal Gedanken zu machen über Lösungen, die sowohl das Klima als auch die ohnehin ziemlich gebeutelten Brieftaschen schonen, anstatt empört auf die Protestler zu starren wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Während wir uns an den Stammtischen und in den Kommentarspalten aufregen, zieht uns die FDP nämlich hinterrücks die Verkehrswende wieder aus der Tasche. Und diese Rechnung bezahlen wir alle: ob als Steuerzahler, Autobesitzer oder Bahnkunde – auch wenn wir den Treibhauseffekt aus der Gleichung streichen, wir legen alle drauf.
Das Deutschlandticket (das offiziell nicht mehr 49-Euro-Ticket genannt wird; in wenigen Monaten werden Sie wissen warum) ist noch nicht einmal in Kraft getreten, da reihen sich bereits die ersten schwergewichtigen FDP – Akteure bei den Neoliberalen ein, die den Bahnkonzern zerschlagen wollen. Und mutig wie Lindners Hofstaat von Natur aus ist, springen sie damit auf den Zug, den Bundesrechnungshof, CDU und Gewerkschaftsüberläufer Weselsky angeschoben haben. An vorderster Front findet sich dann urplötzlich Valentin Abel, kraft eines BWL – Masterabschlusses Verkehrsexperte seiner Fraktion. Der Koalitionsvertrag sah vor, Netz und Bahnhöfe in eine Bundesgesellschaft zu überführen, immer noch unter dem Dach des DB – Konzerns. Den Liberalen reicht das nicht mehr, sie wollen die Bahn den Klauen der (auf dem Papier) staatlich geführten Misswirtschaft entreißen und heimholen ins Reich der öffentlich – privaten Partnerschaften. Hinter ihren wolkigen Formulierungen wie „Wettbewerb“ und „Anreize“ verbirgt sich eine simple Hedgefonds – Logik: den DB – Konzern in einzelne Bereiche aufsprengen, „verschlanken“, was üblicherweise eine Menge Menschen die Existenzgrundlage kostet, und sie wie scheibchenweise Filet auf dem „freien Markt“ feilbieten. Die „gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte“ soll unter dem Namen „Infrago“ Anfang 2024 in Betrieb gehen, möglichst bevor die Menschen bemerkt haben, was hier gespielt wird. Mit Gemeinwohlorientierung hat es nämlich verdammt wenig zu tun, wenn profitorientierte Konzerne die profitablen Strecken unter sich aufteilen und den Rest verrotten lassen. Die Kostenersparnisse für den Bund, die so gerne als Argument angeführt werden, sind indes ein Irrglaube – die Gewinnerwartungen werden ohne Subventionen nicht zu erfüllen sein. Das Geld, das der Steuerzahler an dieser Stelle nicht spart, darf er stattdessen vermutlich für noch teurere Tickets ausgeben. Bereits jetzt kann die Bahn ihre Bilanzen nur halten, weil der Bund seit Jahren auf seine Gewinnbeteiligungen verzichtet, wie das klappen soll, wenn die Anteilseigner auf ihre Dividenden pochen, kann sich jeder selbst ausmalen.
Die Folgen dieser Privatisierungsorgien sieht man seit den neunziger Jahren in Großbritannien: Die Preise stiegen massiv, die Instandhaltung wurde massiv vernachlässigt, wichtige Investitionen fielen dem kurzfristigen Profit zum Opfer und schlussendlich kam es zu tödlichen Unfällen. Vor gut 20 Jahren hatte die Regierung letztlich ein Einsehen und nahm die ausgelutschte und kaputtgesparte Infrastruktur wieder zurück. Das alte Lied: die Gewinne wanderten in die Taschen der früheren Eigner und der Steuerzahler durfte den Mist wieder geradebiegen. Abgesehen von einem enormen Investitionsstau „erbte“ Großbritannien Schulden in Höhe von 4,5 Milliarden Pfund.
Nach ähnlichem Rezept funktioniert die Autobahn GmbH: von Andreas Scheuer aus der Taufe gehoben, von Volker Wissing übernommen und von Oliver Luksic angeführt. Ein verkehrspolitisches Gruselkabinett. Wie großartig dieses Projekt, das zu Beginn 2021 den Betrieb aufnahm, Kosten spart, erkennt man alleine schon daran, dass bis zu diesem Zeitpunkt 130 Millionen an Beraterhonoraren aufgelaufen waren, mehr als das Fünffache der ursprünglichen Kalkulation. Und da eine Zentralisierung von Zuständigkeiten und Aufgaben bekanntermaßen mit einer Effizienzsteigerung einhergeht, wird das von den Ländern zusammengezogene Personal von rund 10.000 langfristig auf etwa 15.000 aufgestockt. Wenigstens ist in diesem Fall klar, wo das Geld dafür herkommen soll: der nächste Anlauf für die Einführung der Autobahnmaut wird derzeit ausgearbeitet.
Also machen Sie sich bitte nicht verrückt wegen der Klimakleber. Die werden es niemals schaffen unsere Verkehrsinfrastruktur in einen auch nur halb so chaotischen Zustand zu versetzen wie die Jünger der Weltreligion Kapital. Alleine schon deshalb, weil vorher für gewöhnlich eine Behörde oder ein Gericht dazwischen grätscht und wirklich brisante Aktionen abwürgt. Und die Aktivisten halten sich daran, weil sie nämlich keine Klima-RAF sind, Herr Dobrindt. So geschah es auch mit der angekündigten Aktion auf der A620. Dafür bekam die zuständige Behörde vermutlich ein Fleißkärtchen von Oliver Lucsik, der in diesem Beitrag übrigens erneut als einziger Politiker nach seiner Meinung gefragt wurde: „Demonstranten können ihre Anliegen auch ohne massive Auswirkungen für die gesamte Stadt an anderen Stellen sichtbar vertreten.“ Genau, und wenn die ostdeutschen Demonstranten „Wir sind das Volk!“ in Mühlberg an der Elbe anstatt in Berlin skandiert hätten, würde Angela Merkel 2025 ihre vierte Amtszeit als Staatsratsvorsitzende beenden.

Schöne neue Welt
Pünktlich zur feierlichen Eröffnung von vier Betonklötzen – ja, so schnell entstehen neuerdings Fußgängerzonen – lieferte die Hofberichterstattung in Form der Saarbrücker Zeitung die neuesten Erhebungen aus der Einkaufsstraße. Mit Hilfe von Zahlenspielereien wie der Division der Passantenquote durch die Einwohnerzahl oder so ähnlich verwandelt sich die Bahnhofsstraße auf wundersame Weise zum Shopping – Hotspot der Nation. Dann kann sich Herr Conradt vor seinem versammelten Hofstaat in seinem vermeintlichen Erfolg sonnen, ohne harsche Fakten wie den zunehmenden Leerstand in Fußgängerzone oder Europagalerie oder die sich häufenden Geschäftsaufgaben im Stadtgebiet an sich heranlassen zu müssen. Dieser Mann scheint zu glauben, durch Erweiterung der Flaniermeile kaufen die Leute mehr ein. Logisch, wir brauchen nicht mehr Geld, nur mehr Platz!
Zum Jahresbeginn gab unser Oberbürgermeister (bitte nicht zu verwechseln mit „Stadtführer“) bekannt, Saarbrücken werde in den nächsten Jahren „an vielen Stellen sein Gesicht verändern“. Kein Mafiapate hätte schöner formulieren können, dass die Stadt zunächst um seine letzten paar Kröten erleichtert wird und anschließend ihre Visage mit stumpfen Bauwerkzeugen „umgestaltet“ bekommt.
Conradt sieht seinen Ehrgeiz längst nicht mehr damit befriedigt, seiner Fraktion zu sagen, wann sie den Arm heben muss. Mittlerweile von jeglichem Ballast befreit – von der Koalition, von einer Fraktion, die noch hinter ihm steht und von jeglichem Realitätssinn – entwickelt er zunehmend kindliche Freude daran, die Exekutivbefugnisse auszureizen, die ihm ab 2020 in den Schoß fielen. Die politischen Restrukturierungen im Zuge der Coronakrise machten´s möglich, und praktischerweise „vergaßen“ Bund und Land weitgehend, sie zurückzunehmen. Zur Not fängt man schon einmal an zu bauen und holt sich die „Genehmigung“ nachträglich, wenn der Rat vor vollendeten Tatsachen steht. „Sein“ Büro in „seinem“ Rathaus ist der Nabel seiner kleinen Welt und sein Horizont reicht ziemlich genau bis zu den Grenzen der Innenstadt – konsequenterweise „sein“ Vorgarten. Für Ecken wie Burbach oder St. Arnual hat er sich noch nie interessiert, Viertel wie Malstatt oder Alt – Saarbrücken sind für ihn anarchistische Kampfzonen. Die im Vergleich zu Städten wie Wiesbaden oder München charmant – chaotische Lebensart der Saarbrücker ist ihm ein Gräuel. Auf dem Kreuzzug gegen die entartete Stadt entsendet der OB leidenschaftlich gerne das Ordnungsamt, die er als seine persönliche, auf ihn vereidigte Vasallengarde betrachtet. Ihre Aufgabe besteht schon längst nicht mehr nur darin, Knöllchen zu verteilen, sondern in den letzten Jahren auch verstärkt, Obdachlose aus Sichtweite ihres Herrn und Meisters zu verjagen. In den Gassen ums Rathaus herum terrorisieren sie dann die in den letzten Jahren ohnehin schon gebeutelten Gastronomen mit Vorhaltungen, ihre Außenbestuhlung würde das Stadtbild stören – auch in Kneipen, deren Bierbänke die einzige gestalterische Konstante der letzten 30 Jahre darstellen. Und aufgrund eines kuriosen Zufalls sind von den Schikanen meistens solche Geschäfte betroffen, auf die kapitalstarke Investoren aus Conradts Umfeld ein Auge geworfen haben. Aber die Außeneinrichtung auf dem St. Johanner Markt ist bereits vor Jahren per Satzung vorgeschrieben worden; warum machen wir das nicht mit der ganzen Stadt? Stromlinienförmig, vermarktbar, diszipliniert und konform, so wollen wir das haben. Wenn es nach unserem OB geht, hat die Stadt vorrangig die Aufgabe, zahlungskräftiger Klientel etwas fürs Auge zu bieten, also haben die Cafétische optisch angepasst in Reih und Glied zu stehen wie die Luftlandepionierkompanie 260 nachdem ein Unternehmensberater da war. Uwe Conradts Vorstellung von einem lebenswerten Saarbrücken ist schlicht ein riesiges Einkaufszentrum – nicht dafür gedacht, dass Individuen darin leben können, sondern nur für Profit. Schöne neue Welt.
